piwik no script img

Archiv-Artikel

Ich denk mir mein Teil

2,5 Millionen Jahre nach dem ersten Auftreten des Homo habilis wird der Schöpfungsakt rückgängig gemacht

VON MARTIN REICHERT

Zur Begrüßung des dritten Jahrtausends n. Chr. begannen die Wissenschaften in den 80er-Jahren den body turn. Seither gibt es neue Götter, sie heißen „Foucault“ und „Butler“. Diese Götter erschaffen allerdings keine Körper (wie vormals Gott), sie schaffen sie ab.

Sexualität liegt ihnen zufolge nicht im Körper verborgen. Die amerikanische Gender-Goddess Judith Butler verneint die Existenz des Subjekts; materielle, angeborene Körperlichkeit gibt es nicht. Ein Körper wird nach ihrer Theorie diskursiv hervorgebracht. Er ist ein Effekt. Die eigene Wahrnehmung von Körperteilen oder Geschlechtlichkeit ist damit auch lediglich durch performative Praktiken des Zitierens hervorgebracht. Das heißt: Es gibt gar keinen Penis, er ist nur eine vergrößerte Klitoris (und umgekehrt). Egal, denn es handelt sich ja ohnehin um Zitate, um Verhandelbares.

Politisch ist das sicher alles ganz spannend. Auf der zwischenmenschlichen Ebene macht das schon weniger Spaß: Ein Mann, der gerade fünf Kilometer durch den Wald gejoggt ist, um seine Muskulatur zu stählen, kann sich nicht mehr eins fühlen mit sich und seiner Männlichkeit; eine Frau, die sich gerade ein wunderschönes Kleid gekauft hat, kann sich nicht länger an ihren opulent ausgestellten Formen erfreuen, an ihrer Weiblichkeit. Ganz zu schweigen von einem potenziellen Zusammentreffen dieser beiden postmodern-sinnentleerten Gestalten.

Alles nur eine Variante von Cyber Sex? Alles passiert nur im Kopf? Eine erboste Hochschwangere revoltierte jüngst, als man ihr im Gender-Seminar ihre sexuelle Performanz erklärte. „Und was ist das?“, rief sie sichtlich genervt und hievte ihren Acht-Monat-Bauch ins Publikum. Manchmal allerdings könnte der Dreh mit der Performanz auch sehr praktisch sein: Nimmt man sich einen Kandidaten mit nach Hause, der nicht so besonders performiert, kann man sich einfach sein(en) Teil denken. Ist ja ohnehin dasselbe. Oder?

Und was Homosexualität angeht: Die gibt es eigentlich gar nicht. Ein erschütternder Befund für alle jene Schwulen und Lesben, die mühsam ihr Coming-out hinter sich gebracht haben, mehr oder weniger erfolgreich versucht haben, ihre sexuelle Orientierung mit ihrer auch geschlechtlichen Identität in Einklang zu bringen. Alles für die Katz’. Der Gender-Trick: Die Probleme der Schwulen und Lesben werden mit einem theoretischen Kunstgriff einfach weggezaubert, denn wenn es weder Männer noch Frauen gibt, so gibt es natürlich auch keine Schwulen und Lesben. Alles löst sich in Wohlgefallen auf – oder auch im großen Nichts. Ein Nichts, in dem sich der Kampf um Bürgerrechte und Emanzipation erübrigt – Emanzipation von wem oder was auch? So kann man das Problem, Teil einer Minderheit zu sein, auch lösen.

Von keinerlei Empirie getrübt und umso mehr gesättigt durch postmoderne Philosophie französischer Provenienz erobert die Gender-Forschung die geisteswissenschaftlichen Hörsäle – und nimmt auf diesem Weg in Anspruch, was sie am meisten zu verachten scheint: Materielles. „Gender“ setzt Scharen von AkademikerInnen in Lohn und Brot, schafft Forschungsprojekte, Tagungen und Sinn, insbesondere in der Literaturwissenschaft, die schon seit langem um eine Bedeutung jenseits der Lehrerausbildung ringt.

Im Grunde ist das Theoretisieren der Körper ja gar nichts Neues. Am Ende seiner Schöpfung schuf Gott den menschlichen Körper. Er schuf ihn aus Lehm und Atem und nach seinem eigenen Abbild. Als er damit fertig war, sah er, dass es noch nicht ganz so gut damit war, und schuf einen weiteren. Diesmal allerdings machte er sich weniger Mühe. Er schuf den zweiten zwar wieder aus Atem, aber als Materie nahm er einen Teil des bereits geschaffenen Menschen. Der zweite sah auch ein bisschen anders aus als der erste.

Das mit der Gleichzeitigkeit von Ähnlichkeit und Differenz war eine Strategie von Gott. So wird es zwischen den Menschen nicht langweilig. Solange der eine irgendwie gleich, aber auch anders als der andere ist, ergibt sich ein unterschiedliches Machtverhältnis, das einen ständigen Kampf und ständig neue Allianzen fordert. Da dieses Gerangel umgesetzt ins Körperliche großen Spaß machen kann, war das mit dem einen und dem anderen Körper eigentlich gar keine schlechte Idee.

Ein anderes Volk wusste von dieser Schöpfung nichts und erzählte sich einen eigenen Mythos. Festgehalten hat ihn auch wieder ein Mann, allerdings einer, der nicht so großes Interesse an einer Zweiheit von Mann und Frau hatte. Hesiod beschreibt in der Theogonie, wie die Götter entstanden sind. Aus dem Chaos, der Urmasse, entstanden zur gleichen Zeit eine Göttin: Gaia, die Erde, und ein Gott: Eros, die Liebe. Allerdings entstanden dazu noch ein paar andere Götter – und so ist das Begehren des Anderen in der griechischen Mythologie sehr viel komplexer als im Alttestamentarischen.

Die Antike sah die Sache zwischen Mann und Frau also nicht ganz so zweideutig. Mit Aristoteles als Autorität etablierte sich die Betrachtung des Körpers als das Konzept einer teleologischen Männlichkeit. Eine Frau hatte gar keine spezifisch weiblichen Eigenschaften, sondern war vielmehr durch ihre Mängel an Männlichkeit charakterisiert, an fehlender Hitze, die zu Vitalität und Aktivität führen könnte. Durch einen weiblichen Körper fließt zu viel Phlegma, was Nachgiebigkeit und Passivität bewirkt. Dieses Modell der Körpersäfte ließ allerdings auch zu, dass die Grenzen zwischen Frauen und Männern nicht klar gezogen werden konnten.

Als die Bibel lesende Welt auf diese Theorien aufmerksam wurde, theoretisierten einige Menschen daraus eine Rechtfertigung für Frauendiskriminierung und Misogynie. Andere erkannten aber auch, dass es mit der Dichotomie der Geschlechter nicht so weit her sein konnte. Besonders köstlich ist die Anekdote von Montaigne, bei der eine Schweinehirtin so schnell ihren Schweinen hinterherlief, dass sich zwischen ihren Beinen eine männliche Hitze entwickelte und ihre inneren weiblichen Geschlechtsorgane hervorploppten und zu männlichen wurden. Weibliche Geschlechtsorgane, so wusste der antike Mediziner Galen, waren nämlich nur männliche Geschlechtsorgane „auf links“.

Wenn man die verschiedenen Modelle so durchdenkt, dann hält man es wohl am besten mit Montaigne. Schnell oder langsam laufen, mehr oder weniger Hitze entwickeln und es ab und zu ploppen lassen.