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Archiv-Artikel

„Ich kann bei einer Geburt nur stören“

BEGINN Die Gynäkologin Katharina Lüdemann kämpft für die natürliche Geburt. Aber nicht um jeden Preis. Ein Gespräch über den Mangel an Geduld, Hirnmenschen und Gipfelerlebnisse

Katharina Lüdemann

■ Die Ärztin: Katharina Lüdemann, 48, ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Sie wuchs als ältestes von sechs Mädchen in einer katholischen Familie in München auf, studierte Medizin und nebenher Philosophie in Heidelberg. Während des Studiums arbeitete sie in Südamerika und Westafrika, wo sie ihren Mann, einen Tischler und Ingenieur, kennenlernte. 1997 ging das Paar für drei Jahre als Entwicklungshelfer nach Mali, die beiden Söhne waren damals drei Jahre und vier Wochen alt. 2004 gebar Katharina Lüdemann ihren jüngsten Sohn. Seit 2008 ist sie Oberärztin am Sankt-Josef-Stift in Delmenhorst, einem kleinen Krankenhaus mit 400 Geburten im Jahr.

■ Die Kampagne: Katharina Lüdemann engagiert sich im bundesweiten Arbeitskreis Frauengesundheit, der mit einer Informationskampagne die stetig steigende Kaiserschnittrate senken will. 1991 endeten 15,1 Prozent aller Geburten per Operation, 2010 waren es 31,9 Prozent.

INTERVIEW EIKEN BRUHN FOTOS KAY MICHALAK

Die Klinik ist nicht der richtige Ort, um sich mit einer Ärztin ungestört zu unterhalten. Also lädt Katharina Lüdemann in ihr Haus in einem Dorf bei Bremen. Beim Eintreten in den Windfang des Altbaus fällt der Blick auf eine Holzskulptur, eine Schwangere. In einer Vitrine in der Diele steht neben Mitbringseln aus Afrika eine weitere aus Ton. „Hat mein Mann gemacht, mit verliebten Augen“, sagt Lüdemann. „Ich war das Modell.“ Vor dem Gespräch zieht sie sich kurz um, sie war eben noch mit dem Rad unterwegs – im strömenden Regen. Am großen Familientisch in der Küche schenkt sie Ingwertee ein.

sonntaz: Frau Lüdemann, täuscht der Eindruck, oder haben Sie sehr große Hände?

Katharina Lüdemann: Nein, die sind wirklich riesig. Richtige Geburtshelferpranken. Die Hände sind unser wichtigstes Werkzeug. Wenn ich den Bauch einer Schwangeren abtaste, sagt mir das oft mehr als der Ultraschall. Und ich kann damit ein Köpfchen gut stützen, wenn es herauskommt.

Das müssen Sie oft nachts tun. Wie ist das, um drei aus dem Bett geklingelt zu werden, um zehn Minuten später im Kreißsaal zu stehen?

Die Frage höre ich oft, vor allem von ehemaligen Kollegen: Wie kannst du dir das noch antun? Das Aufstehen würde mir wohl auch schwerer fallen, wenn ich Geburten nicht immer noch so wunderschön fände.

Aber die schönen Geburten bekommen Sie als Oberärztin doch gar nicht mit. Sie müssen kommen, wenn es schiefgeht – und können am Ende nur noch einen Kaiserschnitt machen.

Nicht immer. Manchmal reicht es, wenn die Hebamme sagt, wir rufen jetzt die Oberärztin an. Das motiviert die Frau, und sie nimmt ihre Kraft zusammen. Aber es stimmt, wenn man das zwanzig Jahre macht und schon viel Schreckliches gesehen hat, besteht die Gefahr, dass man das Natürliche nicht mehr sieht und überall Gefahren wittert.

Natürliche Geburt – da wittern viele einen Mutterkult.

Mythisch überhöhen sollte man das nicht. Als ich in den Neunzigern nach Afrika gegangen bin, haben mir viele gesagt: Ach, die Afrikanerinnen, die machen nicht so ein Theater, die gebären ihr Kind zwischendurch auf dem Feld. Ich habe dort erlebt, wie viele Frauen und Kinder bei diesen natürlichen Geburten sterben – so wie früher in Deutschland.

Aber Sie treten für eine natürliche Geburt ein und arbeiten an einer Kampagne mit, die die Kaiserschnittraten senken will.

Ja. Eine spontane Geburt ohne Komplikationen empfinde ich als das für alle Beteiligten beglückendste Erlebnis.

Warum?

Wenn man einen Berg besteigt oder mit der Bergbahn hinauffährt, kann man sich in beiden Fällen freuen, auf dem Gipfel zu sein. Aber wenn ich allein etwas geschafft habe, habe ich einen unglaublichen Zugewinn an Kraft und kann ganz anders runterschauen. Das ist vielleicht ein abgelatschter Vergleich, aber ich finde ihn sehr treffend.

Bei Geburten sagen viele aber: Hauptsache, das Kind ist da, und alle sind gesund.

Wenn dem so wäre. Durch den Kaiserschnitt entstehen neue Risiken. Die Kinder haben ein signifikant erhöhtes Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu bekommen. Und es treten in einer folgenden Schwangerschaft häufiger Komplikationen auf, an denen auch Kinder sterben.

Und was folgern Sie daraus?

Ich denke, dass wir uns die Zahlen einfach sehr genau angucken müssen. Die Kindersterblichkeit um die Geburt liegt in Deutschland bei wenigen Promille. Es ist sinnvoll, alles zu tun, um die Zahl noch weiter zu senken, aber die Strategie, die wir bisher angewendet haben, funktioniert offenbar nicht.

Was meinen Sie damit?

In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Kaiserschnittzahlen und Geburtseinleitungen verdoppelt, doch es sterben immer noch genauso viele Kinder im Mutterleib. Das ist so ähnlich wie mit den Antibiotika. Ärzte verschreiben die, obwohl sie wissen, dass sie in der Hälfte der Fälle nicht angezeigt sind und dass jedes Jahr Tausende an Klinikkeimen sterben, die durch den übermäßigen Antibiotikagebrauch resistent geworden sind.

Und Sie sind klüger als andere?

Nein, ich weiß doch auch, dass hinter einer Entscheidung zur Sectio oft die Angst steckt, einen Fehler zu begehen – und die haben nirgendwo so katastrophale Folgen wie in der Geburtshilfe.

Haben Sie solche Fehler gemacht?

Ich habe wie alle, die lange in der Geburtshilfe arbeiten, Entscheidungen getroffen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellten – und viele schlaflose Nächte deswegen gehabt.

Und doch greifen Sie seltener als andere zum Skalpell?

Das hat etwas mit Erfahrung zu tun. Sehr viele Kaiserschnitte werden wegen vermeintlich schlechter Herztöne gemacht. Dabei kann das einfach bedeuten, dass das Kind sich gerade etwas überlegt oder mit dem Kopf ins Becken rutscht. Wir erleben das jeden Tag: Da kommt das Kind quietschfidel raus, aber die Herztöne waren ganz schlecht. Wir haben bis heute keine Möglichkeit objektiv zu beurteilen, wie es dem Kind im Bauch geht.

Aber zwanzig Jahre Erfahrung haben andere doch auch – und halten schlechte Herztöne oder eine sich lange hinziehende Geburt nicht aus. Warum Sie?

Sie sind nicht die Erste, die das wissen will. Und ich habe mich auch schon gefragt, ist das jetzt einfach Wuschigkeit oder weil ich keinen Kaiserschnitt will.

Sind Sie sehr risikofreudig?

Nein, das wäre in meinem Beruf nicht angemessen. Aber ich bin eben auch keine berufsmäßige Bedenkenträgerin.

Dann wären Sie nicht mit einem Kleinkind und einem Neugeborenen nach Mali gezogen, oder hätten als Studentin nicht allein ihre erste Geburt im peruanischen Hochland begleitet – ausgerechnet von Zwillingen.

Ja, zum Glück wusste ich damals nicht, was bei Zwillingsgeburten passieren kann! Ich habe prinzipiell eine positive Lebenseinstellung, vielleicht weil ich in einer sehr religiösen Atmosphäre aufgewachsen bin. Das prägt, dieses Gefühl, dass alles sinnvoll geordnet ist, auch wenn es sich mir nicht immer erschließt.

Noch einmal zum Kaiserschnitt: Sie müssen den als gleichwertige Alternative zur Spontangeburt darstellen. Wie finden Sie das?

Wenn ich so alle Geburtskomplikationen vermeiden könnte und es keine neue Risiken gäbe, hätte ich damit weniger Probleme.

Wie diskutieren Sie im Kreißsaal pro und contra Sectio?

Das geht eigentlich nicht, ich bin aber nach einschlägigen Gerichtsurteilen dazu verpflichtet. Ich muss einer Frau, die fröhlich auf dem Weg zu einer Spontangeburt und streng juristisch gar nicht aufklärungsfähig ist, in den Wehenpausen erklären, dass sich in den nächsten Stunden Schwierigkeiten ergeben könnten und fragen, ob wir es also weiterprobieren oder gleich den Kaiserschnitt machen wollen. So kann ich jede Geburt zur Katastrophe machen.

Warum?

Die Kunst ist, dass die Frau die Möglichkeit hat, sich in ihrer Welt einzuigeln. Das habe ich bei meinen eigenen Geburten als das Tollste empfunden. Dass selbst so ein Hirnmensch wie ich sich so von den Wehen überwältigen lässt, dass man nichts mehr denken muss und sich auf das Wesentliche konzentriert. Wie ein Viech. In dem Moment, in dem ich die Frau aus diesem Gefühl rausreiße und sie auf einer intellektuellen Ebene anspreche, kann das zu stundenlangen Geburtsstillständen führen, weil sich ein Knoten schnürt, der sich nur langsam auflösen lässt.

Messen Sie den Erfolg Ihrer Arbeit daran, ob Sie einen Kaiserschnitt vermeiden konnten?

„Das Schlimmste, was passieren kann, sind aufgeregte Geburtshelfer. Das überträgt sich“

Ich mache das nicht um jeden Preis. Es gibt Situationen, da ist das die Rettung. Das versuche ich auch, den Anti-Kaiserschnitt-Enthusiastinnen nahe zu bringen.

Aber?

Aber wenn man mit einer Geburt erst einmal angefangen hat, ist es natürlich immer das Ideal, sie auf möglichst wenig dramatischem Weg zu Ende zu bringen. Wir hatten letzte Woche eine Geburt, da hatte die Frau zwei Nächte vorher nicht geschlafen, und die Geburt zog sich über zwei Tage. Da gab es eine Phase von sechs Stunden, wo rein gar nichts passiert ist, weil sie einfach so erschöpft war. Ein Kaiserschnitt wäre die Krönung des Negativen gewesen. Nachdem sie alles gegeben hatte, wäre sie mit dem Gefühl rausgegangen: Ich habe es nicht geschafft.

Geht das vielen so?

Nach einem ungeplanten Kaiserschnitt fast allen. Wenn man einen geplanten macht, finde ich das oft weniger schlimm.

Geschieht das in Vollnarkose?

Die ist bei uns die Ausnahme, selbst bei einem ungeplanten. Mir ist es wichtig, dass auch bei einer Sectio die Atmosphäre stimmt. Die Mutter sollte ihr Kind auf dem Bauch haben können, auch im OP. Der Vater oder eine andere Vertrauensperson muss währenddessen dabei sein dürfen, aber es sollten nicht fünf glotzende Praktikanten herumstehen. Und eine Frau spürt, welche Einstellung der Operateur hat. Mich lässt es immer noch schaudern, wenn ich einer Frau den Bauch aufschneide, weil ich das Gefühl habe, ich dringe in ein intimes Reich vor, in dem ich nichts zu suchen habe.

Sie denken nach?

Ja. Ich sehe darin auch die Gefahr, den Kaiserschnitt zu banalisieren. Schnipp, Bauch auf. Natürlich ist ein geplanter Kaiserschnitt für uns am einfachsten. Das ist eine schöne Operation, die schnell geht, meistens sind hinterher alle zufrieden. Es gibt Studien, die sagen, dass die Frauen nach einem geplanten Kaiserschnitt fast so zufrieden sind wie nach einer komplikationslosen vaginalen Geburt.

Eine Freundin erzählte zwei Jahre nach einem geplanten Kaiserschnitt, sie habe sich gefühlt, als wären ihr alle Organe rausgeschnitten worden.

Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn die Zufriedenheit erfragt wird, dann geht es um die ersten Tage und Wochen. Wir wissen nicht, was später hochkommt.

Manche argumentieren, der Kaiserschnitt sei ein Akt der Selbstbestimmung.

Das hat mir gerade gestern eine Frau gesagt, eine alte Aramäerin aus der Türkei. Die meinte, es sei doch gut, dass die Frauen heute eine Wahl hätten. Sie sagte: Wir haben unsere Kinder gekriegt, da hieß es, Mutter hat Kinder gekriegt, Schwiegermutter auch, jetzt mach mal. Es ist ja auch gut, dass Frauen nicht mehr gezwungen sind zur vaginalen Geburt um jeden Preis wie in den Sechzigern. Da gab es regelrechte Kampfgeburten, wo Kinder mit der Saugglocke auf die Welt gezogen wurden, ein traumatisches Erlebnis für Mutter und Kind.

Sie sind 1963 geboren – wie war das?

Die Geburt muss furchtbar gewesen sein. Ich war ein großes Kind und eine Beckenendlage, lag also mit dem Po nach unten. Als meine Mutter sagte, sie wolle viele Kinder, hieß es: Dann kriegen Sie keinen Kaiserschnitt – wegen der Risiken für folgende Schwangerschaften. Es gab Komplikationen, und ich hatte Krämpfe. Sie dachten, ich sei behindert und sagten zu meiner Mutter: Dann kriegen Sie halt ein neues. Dass die meisten Frauen heute nur noch ein oder zwei Kinder kriegen, lässt die Risiken eines Kaiserschnitts geringer erscheinen.

Und die mangelnde Erfahrung junger Ärzte.

Sie haben kaum die Gelegenheit zu lernen, wie man eine schwierige Geburt zu Ende bringt. Da ist es mir lieber, jemand entscheidet sich für einen Kaiserschnitt als seine erste Zangengeburt zu probieren.

Hätten Sie so etwas früher auch gesagt? Waren Sie missionarischer?

Nicht in Bezug auf die Sectio. Aber wenn Frauen nicht stillen wollten, ja. Was haben wir früher als kinderlose Assistenzärztinnen die Frauen im Wochenbett mehr oder minder zu Gesprächen übers Stillen genötigt! Das ist ein Hineinregieren in Lebensbereiche, der mir nicht zusteht.

Und was machen Sie, wenn eine den Kaiserschnitt verlangt?

Das passiert nur sehr selten. Wir verweisen dann auf die Möglichkeit, sich beraten zu lassen. Fast immer hatten diese Frauen eine traumatische erste Geburt oder sexuelle Gewalt erlebt, so dass ihnen die Kontrolle über den eigenen Körper wichtig war.

Und wenn eine Frau während der Geburt sagt, sie kann nicht mehr?

Das sagt fast jede! Wenn man danach gehen würde, hätten wir eine Kaiserschnittrate von hundert Prozent. Da ist es meine Aufgabe, wieder Ruhe reinzubringen, dann hat sie oft in einer halben Stunde ihr Kind. Das Schlimmste, was passieren kann, sind aufgeregte Geburtshelfer. Das überträgt sich. Manchmal sind es allerdings auch die Angehörigen, die es nicht aushalten, dass die Geburt aus ihrer Sicht nicht vorankommt. Neulich hatten wir einen werdenden Vater, der hat die Eltern seiner Frau angerufen, dann standen die zu dritt hier und haben gesagt: Jetzt sofort einen Kaiserschnitt, wir schauen uns das nicht länger an.

Können Sie als Ärztin etwas anderes machen als zuschauen?

Nein, das ist die Kunst und das, was der klassischen Medizin so schwer fällt. Man kann ganz viel motivieren oder auch mal Hilfeleistungen geben. Aber im Prinzip kann ich den Verlauf einer Geburt nur stören durch Interventionen.

Aber die meisten gehen doch in die Klinik, weil sie sich nicht zutrauen, ohne ärztliche Hilfe ein Kind zu gebären.

Das laste ich auch der pseudofrauenfreundlichen Geburtshilfe an. Heute sagt jede Klinik: Wir machen alles, was ihr wollt. Und zusätzlich bieten wir Homöopathie an und geburtsvorbereitende Akupunktur. Das suggeriert der Frau doch wieder, dass sie es allein nicht packt. Die Frauen sind sehr verunsichert. Wir erleben es immer wieder, dass am Wochenende Frauen, die gerade einen Schwangerschaftstest gemacht haben, in die Klinik gespeedet kommen, weil sie es nicht drei Tage aushalten, bis sie den Frauenarzttermin haben. Sie wollen von außen die Bestätigung haben.

„Was haben wir früher als kinderlose Assistenzärztinnen die Frauen zu Gesprächen übers Stillen genötigt“

Zum Beispiel durch Ultraschallbilder: Haben Sie in Ihren Schwangerschaften darauf verzichtet?

Nein, ich fand das toll! Wenn ich Nachtdienst hatte, habe ich jedes Mal geguckt, ob das Kind noch da ist. Jedenfalls solange es sich nicht bewegt hat. Ich war dabei aber allein mit meinem Kind, ich habe das als etwas sehr intimes empfunden. Mir ist es fremd, wenn Leute die Bilder per Mail verschicken. Ich habe immer noch Ehrfurcht, wenn ich das Ultraschallgerät auf den Bauch einer Schwangeren lege.

Können Sie sich die Abhängigkeit von äußerer Kontrolle erklären?

Ja, wir haben verlernt, auf unsere Gefühle zu hören, weil wir im Alltag so damit beschäftigt sind, das niederzuknüppeln, damit wir gut funktionieren. Und die Schwangerenvorsorge, die überall nur Risiken sieht, macht es nicht besser. Erst gestern kam eine Frau, die sagte, ich habe nur noch ganz wenig Fruchtwasser, und der Frauenarzt sagt, die Geburt muss eingeleitet werden. Dann untersuchen wir sie, es sieht gar nicht so schlimm aus, und wir würden ihr gern noch ein bisschen Zeit geben. Aber sie sagt: Mein Arzt macht sich Sorgen und ich jetzt natürlich auch.

Was machen Sie dann?

Da kann ich nicht mehr sagen, ach, jetzt gehen sie mal ganz entspannt nach Hause, und wir gucken übermorgen noch mal. Ich möchte ihr Vertrauen zu ihrem Arzt nicht untergraben. Also bekommt sie ein geburtseinleitendes Medikament, und ich hoffe, dass es funktioniert. Wenn nicht, schläft sie schlecht, weil sie nachts diese hässlichen Wehen bekommt, die aber nicht den Muttermund öffnen. Am nächsten Morgen ist sie demotiviert und erschöpft. Optimale Voraussetzungen, um in eine scheußliche Geburt hineinzuschlittern, die dann mit Saugglocke oder Kaiserschnitt endet.

Das spricht alles nicht für Kliniken als Geburtsort.

Es gibt viele Untersuchungen, die sagen, mit einer komplikationslosen Geburt ist man im Geburtshaus am besten aufgehoben. Unter der Voraussetzung, dass für die seltenen unvorhersehbaren Notfälle eine Klinik erreichbar ist.

Sie selbst sind beim zweiten und dritten Kind ins Geburtshaus gegangen.

Ich dachte, am Ende kommt jemand und stört mich, so wie ein Kollege, der kurz vor meiner dritten Geburt zu mir sagte, in meinem Alter sei das ja auch alles nicht mehr so leicht. Ich hatte das Bedürfnis, mich zurückzuziehen.

Sie arbeiten in einer hochtechnisierten Klinik, wo zwar nicht wie im Bundesdurchschnitt jede dritte, aber jede vierte Geburt ein Kaiserschnitt ist. Was hält Sie dort?

Moment, ich arbeite gern in der Klinik! Ich operiere gern und profitiere vom Austausch mit meinen Kollegen. Ich finde es gut, auch eine andere Perspektive als meine eigene sehen zu können – wir sind uns ja längst nicht immer einig.

Und aus Schwangerensicht?

Die Klinik ist nicht an sich ein schlechter Geburtsort, es sind die Bedingungen, unter denen Geburtshilfe dort oft stattfindet, weswegen ich auch schon Stellen gekündigt habe. Weil die Geburtshilfe für Kliniken oft nicht rentabel ist, wird am Personal gespart. Hebammen müssen zwischen zwei oder drei Kreißsälen hin und her rennen. Und es gibt immer weniger kompetente Ärzte und Ärztinnen, die sich für das Fach entscheiden und bereit sind, Nachtdienste zu leisten. Meine Entscheidung für ein Geburtshaus war für mich richtig, aber vielleicht nicht für eine andere Frau. Dafür kämpfe ich: dass Frauen in der Umgebung gebären können, die für sie persönlich gut ist.

Eiken Bruhn, 38, taz-Redakteurin, findet Aufstiege wunderschön. Den Wunsch nach einer Bergbahn kann sie dennoch nachvollziehen

Kay Michalak, 44, würde sich Katharina Lüdemann sofort als Patient anvertrauen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist