: Immer wacklig
Rot-Grün, wir danken dir (13 und Schluss): Wenigstens der Abgang Schröders und der Seinen hat Grandezza
Wofür soll man Rot-Grün danken? Für die Bombardierung Belgrads? Fürs Dosenpfand? Das Antidiskriminierungsgesetz? Ich weiß nicht. Wahrscheinlich muss man weiter ausholen. Viel weiter. Wie lange war Kohl gleich noch mal Kanzler? Sechzehn Jahre. In meinem Fall waren es die von 19 bis 35. Von 19 bis 35! Mit 19 konnte ich mir noch eine gerechte und freie Gesellschaft vorstellen in der die Macht der Einsicht folgte. Mit 35 wusste ich, dass die Macht ein dicker, sprachlimitierter Mann mit ungeheurer Durchsetzungskraft war, der alles dominierte. Ich konnte sie mir nicht anders denken als übergewichtig, täppisch, ignorant – und doch ungeheuer auf ihre Selbsterhaltung bedacht.
Mein Mangel an politischer Fantasie war so ausgeprägt, dass ich auch den Wahlsieg von Rot-Grün 1998 zuerst nur für eine besonders raffinierte Finte Helmut Kohls hielt, der sich eines Morgens im Radio mit einer Regierungserklärung aus dem Kanzleramt zurückmelden würde. Stattdessen erwies sich Rot-Grün im Kosovokonflikt als politisch zuverlässig, praktizierte Machtausübung als permanentes Krisenmanagement und kreierte einen neuen politischen Stil, der „die Medien“ zu seinem eigentlichen Spielfeld machte.
Zu Kohls Zeiten glaubte ich, eine rot-grüne Regierung würde mir sympathischer sein, als sie mir dann tatsächlich wurde. So wolkig diese Hoffnung war, so schnell verflüchtigte sie sich auch. Als Belgrad bombardiert wurde, war klar, dass die realpolitische Klemme dieser Regierung keine Zeit lassen würde, das zu schaffen, wovor ihre Gegner zuvor so eindringlich gewarnt hatten: „eine andere Republik“.
Was das hätte sein können oder sollen, war denn auch nie die Frage. Und doch, die ganzen sieben Jahre hindurch hatte ich nie den Eindruck, Schröder sitze so fest im Sattel wie weiland sein Vorgänger. Er hielt sich oben, gewiss, aber die Sache wurde zusehends wackliger. Nur einmal schien es mir so, als wäre Schröder im Vollbesitz seiner politischen Kräfte, nämlich nach der letzten nordrhein-westfälischen Landtagswahl, als er die vorgezogenen Neuwahlen verkündete. Kohl entfaltete sich durch Ausübung der Macht, Schröder erst durch deren Preisgabe in einem überraschenden Moment. Als alle mit Durchhalteparolen rechneten, mit dem Aussitzen bis zum Letzten – warf er nicht hin, sondern schlug einen Haken, was seine Gegner zumindest einen köstlichen Augenblick lang in Verwirrung stürzte.
Was jetzt kommt, könnte zum nachhaltigsten Erbe von Rot-Grün werden. Weniger denn je ist klar, wie sich bei den vorgezogenen Neuwahlen im Herbst die Mehrheitsverhältnisse ordnen werden. So hat wenigstens der Abgang Schröders und der Seinen etwas von der gewünschten Grandezza, die ihrer Amtszeit versagt blieb. Dafür zu danken wäre mir allerdings zu viel des Guten. GEORG M. OSWALD