Die Liebe einer Hausfrau

Durchkomponiertes Gefühlskino mit Sandrine Bonnaire in der Hauptrolle: Philippe Liorets Film „Die Frau des Leuchtturmwärters“ erzählt von einer Dorfgemeinschaft auf der bretonischen Insel Ouessant und von den Aggressionen, die die Ankunft eines jungen fremden Mannes dort auslöst

VON CLAUDIA LENSSEN

Ein Film mit Sandrine Bonnaire kann gar nicht schlecht sein. Ihr dunkler Blick macht ernst mit den rätselhaftesten Gefühlen, ihr eigenartiger Gang fasziniert, das Lachen ist nie gefällig oder affektiert. Sie ist keine Gefühlsvirtuosin à la Juliette Binoche, keine Charaktermaske à la Isabelle Huppert, teilt aber mit den beiden aus der oberen Liga französischer Stars die Gabe, gute Rollen auszusuchen.

In Philippe Liorets Film trägt sie Blümchenkleider, fährt mit dem Fahrrad und arbeitet in der Fischfabrik. „Die Frau des Leuchtturmwärters“ handelt von einer Dorfgemeinschaft auf der bretonischen Insel Ouessant und von der Aggression, die die Ankunft eines Fremden auslöst. Sandrine Bonnaire spielt eine Frau, die selbst erst durch ihre Hochzeit hierher geriet. Sie hat sich mit der gefährlichen Arbeit ihres Mannes und ihrer kinderlosen Ehe abgefunden. Auch sie beschwört die Inselweisheit „Das war schon immer so“, um die lokale Mentalität vor dem fremden jungen Mann zu entschuldigen. Aber diese Sprüche sind nur die eine Seite, die andere sind intensive Blicke, scheinbar absichtslose Begegnungen, langsam sich aufstauende Spannung bei äußerster Contenance, – idealer Stoff für das intensive, introvertierte Spiel von Sandrine Bonnaire, das Emotionen, Affekte und Begehren ohne Kitsch offenbart.

Die Geschichte ist zwingend. Von Anfang an ist klar, dass Mabé, die Frau des Leuchtturmwärters Yvon (Philippe Torreton), eine hoffnungslose Affäre mit Antoine (Grégori Derangère), dem neuen Kollegen ihres Mannes, haben wird. Über eine Rahmenhandlung, – klassisch melodramatisches „Es war einmal“ –, wird eine große Rückblende eröffnet. Das Leuchtturmwärter-Haus soll verkauft werden, doch kurz vor dem Notartermin fällt der Tochter Mabés ein Buch in die Hände, in dem Antoine, der Mann ohne Zukunft auf der Insel, seine einstige dramatische Begegnung mit Mabé erzählt. Wer weiß? – vielleicht sieht die Tochter am Ende Antoine als ihren biologischen und Yvon als ihren sozialen Vater.

Der Autor und Regisseur Philippe Lioret gibt sich jedenfalls als Angehöriger einer Generation zu erkennen, die auf der Suche nach der verlorenen Zeit der Sechzigerjahre vom viel beschworenen französischen Kosmos der einfachen Leute Abschied nimmt und doch zugleich seine Sehnsucht danach beschwört.

Der Film ist kein veristisches Provinzporträt, eher durchkomponiertes Gefühlskino, orchestriert auch von der klassisch anmutenden Musik des Fellini- und Taviani-Komponisten Nicola Piovani. Mit seinem archaischen Schauplatz und der sublim leidenschaftlichen Hauptfigur erinnert er an Rossellinis „Stromboli“, mit seiner Rückblende auf die verdrängte Liebe einer Hausfrau an Clint Eastwoods „Die Brücken am Fluss“, mit seinen komplexen Gruppenszenen (gemeinsame Mahlzeiten und Feste der Dörfler) an den beiläufigen Reichtum der Filme von Claude Sautet.

Doch Liorets Melo erzählt auch eine dramatische Männerfreundschaft. Großen Raum nehmen die Szenen in dem Leuchtturm ein, der in Sichtweite von Ouessant auf einer Klippe steht. Er kann von der jeweiligen Besatzung nur per Seilzug erreicht werden und verlangt den Männern aufreibende Schichtdienste ab, Zeit für Eigenbrötlerei, Rivalitäten, vorsichtige Annäherungen, dramatische Aktionen im Sturm. Eine Meisterleistung des Szenografen Yves Brover: Die Innenräume des Turms sind Studio-Sets, der Leuchtturmkopf samt der gigantischen roten Drehleuchte wurde auf den Klippen nachgebaut und mittels Wasserwerfern von schweren Brechern attackiert. Nur den digital bearbeiteten Totalen von Meer und Wetter sieht man leider ein gewisses Pseudo an. Yvon soll dem Neuen das Leben schwer machen, weil das Dorf den Posten einem Anderen zugedacht hat, tatsächlich werden sie sich gegenseitig zu Lebensrettern.

Grégori Derangère ist ein neues Gesicht, ein Mann, der die Frauen in diesem Film für sich einnimmt, ohne je zu flirten, und die rohe Ablehnung der Männer ohne gekränkte Regung auszuhalten scheint. Er unterspielt die verführerisch charmante Seite seines Antoine und geht klug mit dem Sympathiebonus seiner verhaltenen Liebhaberrolle um. Als die Verstrickung mit Mabé Antoine schon die Aura des Opfers angeheftet hat, erzählt er in einer kleinen großen Szene, wie es im Algerienkrieg zur Verstümmelung seiner Hand kam. Eine unerwartet grausame Geschichte, die eine dunkle Seite enthüllt. Keine Figur in diesem Film ist eindimensional.

„Die Frau des Leuchtturmwärters“. Regie: Philippe Lioret. Mit Sandrine Bonnaire, Grégori Derangère u. a., Frankreich 2004, 104 Min.