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Archiv-Artikel

Ergreifende Mini-Dramen

JÜDISCHE KULTURTAGE Die Musikerinnen Keren Ann und Yasmin Levy brachten eine üppige Vielfalt der Sprachen und Stile in die Synagoge in der Rykestraße

Zwischen den Titeln erzählt Yasmin Levy vom Ladino, das bald nur noch in seinen Liedern weiterleben wird

„Wer spricht hier Hebräisch?“, fragt Shlomi Shaban in den Saal. Zaghaft recken sich in der rundum renovierten Synagoge in der Rykestraße ein paar Hände nach oben, die meisten aber bleiben unten. Da weiß der Pianist und Sänger, dass er den Inhalt seiner Songs ein bisschen näher erläutern muss.

Das Übersetzen ist Shlomi Shaban gewohnt, er hat Dylan-Songs ins Hebräische übertragen. Später wird er, mit einem Spielzeug-Keyboard in der Hand, gemeinsam mit Keren Ann eine hebräische Version des Leonard-Cohen-Titels „Tower of Song“ anstimmen. Das skurrile Duett ist einer der bemerkenswertesten Momente dieses bemerkenswerten Konzerts, das den israelischen Songwriter am Sonntag mit der französischen Chanteuse zusammenführte, ergänzt durch den Jazz-Trompeter Avishai Cohen als Dritten im Bunde.

Keren Ann, Tochter einer indonesischstämmigen Niederländerin und eines russischstämmigen Israelis, zählt zu den Stars der jungen französischen Nouvelle-Chanson-Szene. Dort hat sie aber durch ihre englischsprachigen Alben und die Hinwendung zu Alternative Country und Folk auch längst eine Sonderstellung. Bei ihrem Konzert in der Synagoge haucht sie, ganz femme fragile, nur einige wenige französische Titel ins Mikrofon. Ansonsten singt sie überwiegend auf Englisch, auch mal auf Hebräisch, wenn sie einen Song von Shlomi Shaban begleitet. Der ist für die experimentellen Spielereien zuständig, bearbeitet einen israelischen Gassenhauer aus den Aufbaujahren fast zur Unkenntlichkeit oder wagt einen Ausflug in die Psychedelik.

Auch Yasmin Levy, die sich am Mittwoch am selben Ort im silbrig schimmernden schwarzen Abendkleid wie ein Showstar präsentiert, ist in mehreren Sprachen zu Hause. Die Sängerin aus Jerusalem versteht sich als Hüterin des sephardischen Musikerbes, das ihr Vater als Archivar des israelischen Rundfunks einst bewahren half; sie macht aber auch keinen Hehl daraus, dass ihre Modernisierungsversuche von der sephardischen Gemeinde in ihrem Land nicht immer gutgeheißen werden: „Sie glauben, ich ruiniere diese Lieder“, gesteht Levy ihrem Publikum, das die Synagoge bis auf die oberen Ränge füllt, „aber ich mache es trotzdem.“

Yasmin Levys Einflüsse spiegeln sich in den Instrumenten ihrer Musiker wider: Flamenco-Gitarre und Bass teilen sich die Bühne mit armenischer Duduk, türkischer Ney-Flöte und arabischer Darbuka-Percussion. Ihre Songs beruhen zum Teil auf sephardischen Volks- und Wiegenliedern, teils sind es eigene Kompositionen. Die sind gefällig arrangiert und manchmal gefährlich nahe am Flamenco-Pop Südspaniens. Eine besondere Note erhalten sie allerdings durch den ausdrucksstarken Gesang, mit dem Levy noch die kitschigste Schnulze in ein ergreifendes Mini-Drama zu verwandeln weiß.

Zwischen den Titeln erzählt die 34-Jährige von ihrer Beziehung zum Flamenco, dem sie in Andalusien nachspürte, von der Odyssee der sephardischen Juden, die 1492 aus Spanien vertrieben, in Nordafrika und dem Osmanischen Reich Zuflucht fanden, und nicht zuletzt vom judäospanischen Dialekt, Ladino genannt. Heute wird diese Sprache nur noch von ein paar Hundert Menschen gesprochen, bald schon wird sie nur noch in den altertümlichen Liedern weiterleben, die von Levy in ein zeitgemäßes Outfit gekleidet werden. Die Vielstimmigkeit dieser Musik findet ihren Widerhall in den vielen Sprachen, die nach dem Konzert im Foyer und Innenhof der Synagoge in der Rykestraße zu hören sind: Hebräisch, Deutsch und Russisch mischen sich da mit Türkisch und Englisch. DANIEL BAX