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Archiv-Artikel

Enthaltsam beim Atom

Welche Folgen hat ein Regierungswechsel für die Anti-AKW-Bewegung? Immerhin hat die Debatte um die „Renaissance“ der Atomkraft schon zu Unruhe geführt. Bürgerinitiativen tagen in Salzgitter

Mit Unterschriften das „Comeback der Anti-Atom-Bewegung organisieren“

Von Reimar Paul

Die Bürgerinitiativen gegen Atomenergie haben bei einem bundesweiten Treffen am Wochenende in Salzgitter über die Konsequenzen eines möglichen Regierungswechsels beraten.

Durch die für Herbst angekündigten Neuwahlen zum Bundestag sei für die Anti-Atom-Bewegung eine neue Situation entstanden, hatte Ursula Schönberger von der gastgebenden Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad in der Einladung für die Konferenz geschrieben. CDU- wie FDP-Politiker hatten landauf landab in den vergangenen Monaten erklärt, sie wollten die Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke deutlich verlängern, über den Bau von neuen AKWs sollten die Energieversorger entscheiden. Der Salzstock Gorleben soll nach Ansicht von Christdemokraten und Liberalen zügig zu Ende erkundet, das noch durch Klagen blockierte Endlager Schacht Konrad so rasch wie möglich in Betrieb genommen werden.

In Salzgitter bezweifelten indes viele Atomgegner, dass ein Regierungswechsel im Herbst tatsächlich so gravierende Veränderungen in der Atompolitik mit sich bringt wie sie in den vergangenen Wochen herbei geschrieben wurden. Naturgemäß stehen viele Inis den Grünen nahe. Allerdings gebe es keinen Grund, sich im Hinblick auf die Bundestagswahl für oder gegen eine bestimmte Partei ins Zeug zu legen. Mit dieser Enthaltsamkeit setzt die Anti-Atom-Bewegung eine uralte Tradition fort: Man will sich keinesfalls parteipolitisch vereinnahmen lassen, die begrenzte Kooperation mit Parteien vor Ort ist dadurch aber nicht ausgeschlossen.

Registriert haben viele Bürgerinitiativen, dass die in den Medien aufkeimende Debatte um eine „Renaissance“ der Atomkraft zu verstärkter Unruhe und Besorgnis in der Bevölkerung geführt hat. Informationsbroschüren, Aufkleber und Anstecker würden wieder deutlich mehr nachgefragt, hieß es in Salzgitter. Schon beim evangelischen Kirchentag Ende Mai in Hannover hatten Atomgegner von großem Ansturm auf ihre Büchertische und Infostände berichtet.

Auch die Proteste gegen die jüngsten Castortransporte von Rossendorf nach Ahaus werden von den beteiligten Initiativen als Erfolg gewertet. Tausende hätten sich an den Demonstrationen und Blockaden entlang der Strecke und im Münsterland beteiligt, berichteten die Organisatoren.

Politische Schlagkraft will die Anti-Atom-Bewegung in den kommenden Monaten durch weitere Aktionen und Kampagnen zurückgewinnen. Schon sind Aktionen gegen den nächsten Castortransport nach Gorleben (voraussichtlich im November) sowie gegen Transporte von der und zur Urananreicherungsanlage Gronau angekündigt.

Am 20. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe im April 2006 soll es in Deutschland und anderen Ländern große Demonstrationen geben. Die Initiative „x-tausendmal quer“, die sich in der Vergangenheit vor allem an Sitzblockaden gegen Castortransporte beteiligt hat, will unterdessen mit Unterschriftenaktionen und im Internet „das Comeback der Anti-Atom-Bewegung organisieren“ (www.ausgestrahlt.de).

Kein Grund, sich vor der Bundestagswahl für oder gegen eine bestimmte Partei ins Zeug zu legen

Mehr in den Fokus wollen die Atomkraftgegner auch die Atommüll-Hinterlassenschaften Asse II und Morsleben rücken. „Es ist grotesk, wenn niedersächsische Politiker immer mehr Atommüll ins Land holen wollen, während sie gleichzeitig die Altlasten nicht in den Griff bekommen“, meinte Ursula Schönberger mit Blick auf die Gorleben- und Schacht Konrad-Debatte.

Das Endlager Morsleben in Sachsen-Anhalt wurde nach der Wende von der Bundesregierung übernommen. Atommüll wird dort seit einigen Jahren zwar nicht mehr eingelagert, doch streiten Behörden und Umweltschützer über die sicherste Methode einer dauerhaften Schließung des Lagers. Zuletzt krachten in Morsleben mehrfach tonnenschwere Salzbrocken von der Decke, das Bundesamt für Strahlenschutz ordnete deshalb Notfallsicherungsmaßnahmen an.

In das so genannte „Versuchs“-Endlager Asse II bei Wolfenbüttel wurde von 1968 bis 1978 schwach und mittel-radioaktiver Atommüll eingelagert, teilweise kippte man die Fässer einfach in die Gruben des früheren Salzbergwerks ab. Seit einigen Jahren dringt Lauge aus unbekannter Quelle in das Endlager ein – täglich sind es rund zwölf Kubikmeter. Ein Absaufen der ganzen Anlage wird inzwischen auch von offizieller Seite nicht mehr ausgeschlossen.