: Wenn Volksvertreter schweigen…
Der eine mag nicht, die nächste mag nicht mehr, vielleicht kann auch der eine oder andere gar nicht. Wer sind diejenigen Politiker, die wenig oder gar nicht in der Bremischen Bürgerschaft reden?
Bremen taz ■ „Es gibt Themen, zu denen will ich auch manchmal einfach nichts sagen“, meint Wolfgang Pfahl. Das scheinen bei dem CDU-Politiker aus Bremerhaven ziemlich viele zu sein, denn in dieser Legislaturperiode hat der 57-Jährige kein einziges Mal im Landesparlament gesprochen. Seine letzte Rede datiert vom 15. November 2000, als Pfahl zu einer Debatte über den Investitionsanreiz für Reeder in Bremerhaven „einen redaktionellen Teil“ beitrug, wie es im Protokoll der Sitzung heißt.
Pfahl weiß das Datum seines Beitrages auch heute noch genau, hält seine fehlende Redepräsenz aber nicht für problematisch. „Ich arbeite viel im Hafenausschuss und in der Umweltdeputation“, sagt der Mann, der seit fast acht Jahren im Landtag sitzt. Erstaunlich nur, dass ihn mancher seiner Deputationskollegen nicht mal kennt: „Beschreiben Sie den mal“, verlangt einer.
Auch andere Parlamentarier schweigen. Exsenatorin Tine Wischer (SPD) findet es „nicht passend“, wenn sie sich zu Themen äußert, die sie als Bau- oder Sozialsenatorin „mit vorangebracht“ habe. „Wir sind eine große Fraktion, da können viele andere reden“, sagt die Sozialdemokratin, die in dieser Legislatur nur einmal am Rednerpult über gentechnikfreie Landwirtschaft sprach.
Sigrid Koestermann (CDU) sitzt seit über 13 Jahren im Parlament. Da setzte sie Akzente in der Kulturpolitik: Einschnitte in der Kultur seien nötig, dennoch müsse man Schwerpunkte bilden, sagte sie im Dezember 2003. Im November unterschrieb sie dazu noch eine Anfrage zur Gefangenenentlohnung – das war’s an Aktivitäten im Plenum in dieser Legislaturperiode.
Jens Görtz’ (SPD) Bilanz sieht nicht viel besser aus: Immerhin konnte er schon durch einen Zwischenruf glänzen. Elisabeth Wargalla von den Grünen ist erst seit einem knappen Jahr wieder Mitglied der Stadtbürgerschaft. Eine Rede und eine Anfrage brachte sie zustande, kommt damit auf mehr parlamentarische Redebeiträge als Hans-Georg Gerling (CDU). Die Liste ließe sich fortführen.
Doch nicht nur Hinterbänkler, auch Politiker aus der ersten Reihe halten sich zurück: Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Marlies Marken aus Bremerhaven glänzte nur mit einem Redebeitrag zur Deicherhöhung. Gehalt der Rede war aber eher eine Schimpftirade gegen Siegfried Tittmann (DVU) als ein sachlicher Beitrag. „Die Anzahl der Redebeiträge ist kein Maßstab dafür, ob jemand fleißig ist“, meint die dienstälteste Parlamentarierin, die auch keine einzige Anfrage in dieser Legislaturperiode stellte. Sie bringe sich in der Fraktion ein – und das, seit sie 1987 das erste Mal in die Bürgerschaft einzog. Als vor einigen Jahren diskutiert wurde, ob nicht anstelle der 100 Sitze das kleine Bremen mit einer 50 Köpfe starken Bürgerschaft auskommen könnte, da war Bremerhaven das entscheidende Argument: Verkleinern auf 50 ging nicht, da hätte es zu wenige Abgeordnete aus Bremerhaven gegeben.
Marlies Marken, die zweite Bremerhavener Schweigerin, ist bei internen Terminen „sehr aktiv“, sagt einer, der sie länger kennt. „Sie wird auch zu Bremerhavener Themen sprechen, wenn die auf der Tagesordnung stehen.“
Und schnell ergänzt er das, was viele schweigende PolitikerInnen zu ihrer Verteidigung vortragen: Die Arbeit der Abgeordneten finde ja vielmehr im Verborgenen statt. In den Deputationssitzungen und Ausschüssen, da werde Politik gemacht, im Parlament werde ja nur geredet. Außerdem würden dort immer die Vorsitzenden und jeweiligen Sprecher über ihre Politikfelder reden. Ist doch klar, oder?
Nicht ganz, denn Politologen charakterisieren die deutschen Parlamente als Mischform zwischen Arbeits- und Redeparlament. Reden halten sie nicht für den entscheidenden, aber eben auch nicht für einen unwichtigen Indikator. Natürlich würden in den Ausschüssen politische Entscheidungen vorbereitet. Dennoch müssten die Parlamentarier in den Sitzungen Debatten führen, bei denen sich die Bürger – und sei es nur über die Medien – ein Bild davon machen können, was die Volksvertreter zu sagen haben.
Auch die auf dem „Bremerhaven“-Platz sitzende stellvertretende Fraktionsvorsitzende Marlies Marken mag da nicht widersprechen: „Für mich gehören Arbeit und Debatte zusammen.“
Kay Müller