: „Meine Kirche ist zu unbeweglich“
Friederike von Kirchbach
Mit Gegensätzen ist sie groß geworden: Während andere in den 50er-Jahren die DDR verließen, gehörten Friederike von Kirchbachs Eltern zu jenen Pfarrfamilien, die aus dem Westen in den Osten zogen. Sie wurde im Mai 1955 in Gersdorf bei Leipzig geboren, später studierte sie Theologie an der Karl-Marx-Universität in Leipzig, in Jena und in Naumburg. 1992 übernahm Friederike von Kirchbach ein Pfarramt bei Dresden, im Jahr 2000 wurde wurde sie Generalsekretärin des Deutschen Kirchentages. Am vergangenen Freitag ist die 50-Jährige als erste Frau in das Amt der Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz eingeführt worden. Damit ist von Kirchbach zugleich Stellvertreterin von Wolfgang Huber als Berliner Bischof.
INTERVIEW PHILIPP GESSLER
taz: Frau von Kirchbach, Ihr Vorname Friederike bedeutet „Die Friedensreiche, Friedliche“. Es ist auch in der Kirche unwahrscheinlich, dass man wie Sie in Ihre Führungsposition kommt, wenn man nur friedlich ist, oder?
Friederike von Kirchbach: Nein. Bei aller Vorliebe für diese Qualität Friedlichkeit, die ja auch eine christliche Qualität ist: Sie ist nicht das, was hier vor allem gebraucht wird. Etwas ganz Wichtiges ist da auch der Mut zum Unfriedlich-Sein. Wenn eine Frau oder Mann ein Leitungsamt anstrebt, muss diese Person die Fähigkeit zu Kritik, zum Ertragen von Kritik und zu Konflikten haben.
Wird man in der Kirche als Frau noch schief angeschaut, wenn man so taff agiert wie Männer?
Nein. Ich habe dies auch noch einmal in Vorbereitung auf das Amt mehrfach durchdacht. Ich glaube, dass die evangelische Kirche schon einige Schritte weiter ist. Wir haben Frauen in Leitungspositionen, Juristinnen, Bischöfinnen. Das wird allmählich Normalität. Es soll ja auch nicht nur Frauen geben. Aber die Gleichberechtigung von Männern und Frauen soll sich in der Leitung widerspiegeln.
Ihr Vater hat in Westdeutschland studiert und kam dann, obwohl er die Wahl hatte, wieder nach Ostdeutschland, wo er aufgrund eines Hilferufs eine Pfarrstelle annahm. Sie sind deshalb in der DDR aufgewachsen, obwohl sie auch im Westen hätten groß werden können. Waren Sie sauer auf ihren Vater, dass er seiner Familie dieses Leben in Mangel zugemutet hat?
Nein. Ich habe gern gelebt, hatte nicht das Gefühl, unglücklich zu sein. Je älter ich wurde, desto deutlicher wurde mir, wie eingeschränkt die demokratischen Freiheitsrechte in der DDR waren. Und dennoch war es nicht so, dass ich dieses Leben, das ich führte, nicht gewollt hätte. Bei aller Liebe zur Kritik am DDR-Staat: Ich habe gern gelebt in dieser Zeit, wenn auch die politischen Verhältnisse oft bedrückend waren.
Sie wollten nie „rüber“?
Nein, nie. Kurz vor 1989, als dann die ganzen Freunde auch massenhaft in den Westen gingen, wurde es für mich auch zu einer Frage des Bekenntnisses: Wir bleiben hier! Da gab es große Debatten innerhalb der Kirche. Auch ich habe in scharfer Weise gefordert: Wir müssen da bleiben, um alles, was an der Verbesserung der Verhältnisse irgend möglich ist, auszuloten.
Die DDR war für Kinder aus Pastorenfamilien kein Zuckerschlecken: Ausgrenzung müssen Sie erfahren haben. Und dann noch als Adelige! Was empfanden Sie am härtesten?
Manches, was mir als kleines Kind passiert ist. Mein Vater machte aus seiner politischen Haltung keinen Hehl. Meine Lehrer haben das mit einer ziemlichen Aggressivität meinen drei Geschwistern und mir gezeigt. Und bei Kindern den Ärger über ihre Eltern auszutragen, ist schon aus pädagogischen Gründen inakzeptabel. Ich war nicht bei den Pionieren, erhielt nie eine Belobigung, obwohl ich nach meiner Freundin immer die Beste in der Klasse war. Alle anderen wurden gelobt.
Hatten Sie dann nicht sehr früh mit dem SED-Staat abgeschlossen?
Es war ganz sicher nicht der Staat meiner Träume. Aber in diesem System habe ich meine Überlebensfähigkeiten entwickelt. Ich hatte Theologie studiert und war dadurch im begrenzten Umfang eine legale Opposition. Als kirchliche Mitarbeiterin hatte ich einen gewissen Freiraum. Bei Demonstrationen etwa wurden kirchliche Mitarbeiter immer wieder von der Polizei entlassen, während die anderen festgehalten wurden. In der kirchlichen Nische war Freiheit. Die Jugendarbeit, die ich gemacht habe, war geschenkte Freiheit, für mich und die Jugendlichen, die zu mir kamen.
Die Jugendweihe haben Sie wohl kaum gemacht.
Natürlich nicht! Die Sache mit der Jugendweihe war eine Tortur. Wir, die wir nicht an den Jugendstunden und der Jugendweihe teilgenommen haben, wurden wie die Aussätzigen in eine kleinere Klasse geschickt oder ausgeschlossen.
Ohne Jugendweihe konnten Sie praktisch nur Theologie an den kircheneigenen Hochschulen studieren. War Theologie trotzdem Ihre Berufung?
Ich habe ein einige Theologen kennen gelernt, die mir gut gefielen mit ihrem politischen und theologischen Ansatz. Sie haben mir vermittelt, wie lebensnah die biblische Botschaft ist. Deshalb wollte ich erst einmal studieren, um zu sehen, welche Möglichkeiten sich in dem Studium für mich erschließen. Das Berufsbild, das mein Vater mir vorgelebt hat – und zwar in einer sehr traditionellen Form – war für mich nicht attraktiv: Es war 1973 noch sehr männlich. Deshalb zögerte ich. Aber im Studium, wenn auch relativ spät, habe ich Freude an der Praxis bekommen und gespürt, wie groß der Reichtum des Glaubens ist und welche Orientierung er gibt.
Sie haben als Landesjugendwärtin in Sachsen die Wende, bei der ja die Kirchen eine große Rolle gespielt haben, hautnah miterlebt: Hatten Sie jemals Angst um Ihre jungen Leute?
Ja. Ich hatte damals auch ziemlich kleine Kinder. Deshalb habe ich mich mit meinem Mann immer abgesprochen, nicht gemeinsam zu den Demonstrationen zu gehen, damit wir nicht beide gleichzeitig verhaftet werden. Das wäre ja für Kinder schrecklich gewesen. Ich hatte Angst um die Kolleginnen und Kollegen, aber auch um die Jugendlichen, für die ich zuständig war. Es gab immer wieder vorübergehende Stasi-Festnahmen, die sehr dramatisch waren.
Die Wende 1989/90 kam für sie mit 34 Jahren vielleicht etwas spät – Ihr Lebensweg war vorgezeichnet. Sie hatten nicht mehr die ganz große Freiheit.
Dennoch erlebe ich es als großes Geschenk, in einem Land zu leben, in dem nicht die Ideologie des Staates alle Lebensbereiche bestimmt. Und für meine Kinder war es toll. Meine Kleine, Luise, kam gerade in die Schule – und hatte keinen Fahnenappell mehr. Es war unglaublich befreiend.
Sie waren 1997 Mit-Redakteurin des Wirtschafts- und Sozialwortes der Kirchen. Hat es Sie geärgert, dass es zwar von der Politik viel gelobt, aber kaum in die Praxis umgesetzt wurde?
Der Vorwurf, das Sozialwort sei totgelobt worden, fand ich nicht berechtigt. Denn zumindest wurde klar, dass die Kirchen sehr ernst zu nehmende Gesprächspartner für Gewerkschaften, Unternehmen und politisch Verantwortliche sind. Die Kirchen wollen sich einmischen, weil der Glaube zwar etwas sehr Persönliches ist, aber keine Privatsache.
Auf dem gerade beendeten Kirchentag schien das Thema Sozialreformen die Christen nicht sehr zu bewegen.
Es gab große und gut besuchte Podien dazu. Aber auffällig war schon, dass die Menschen an diesem Kirchentag sehr gern an Orte geströmt sind, wo sie spirituelle Erfahrungen und geistliche Ermutigung erleben: Etwas, was ihnen in diesen anstrengenden Tagen Kraft gibt und gut ist für die Seele. Diese Kraft im Glauben zu vermitteln ist eine große Chance für unsere Kirche. Es war aber auch kein unpolitischer Kirchentag. Kirchen machen keine Politik. Aber sie tragen zu einer Kultur der Achtsamkeit bei, die Politik möglich macht. So haben wir es schon im gemeinsamen Wirtschaft und Sozialwort der Kirchen beschrieben. Diese Atmosphäre war in Hannover deutlich zu spüren.
Auch durch Empfehlung von Bischöfin Käßmann wurde Sie dann Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags. Fördern sich die Frauen in der Kirche gegenseitig, um an die Schlüsselpositionen zu kommen?
Ein paar Frauen, und Margot Käßmann gehört sicherlich dazu, passen auf, dass Frauen einander empfehlen. Man kann aber nicht von einem großen, blendend funktionierenden Netzwerk sprechen. Daran müssen wir noch etwas arbeiten. Andererseits sind die Zeiten auch nicht mehr so schwierig. Man muss niemanden mehr zwingen, Frauen auf Kandidatenlisten zu setzen.
Hängt die evangelischen Kirche zu sehr am Zeitgeist?
Es kommt darauf an, wie man Zeitgeist definiert. Wenn das heißt, ganz nahe bei den Menschen zu sein, habe ich nichts gegen den Vorwurf. Ich glaube, dass wir den Menschen hinterherlaufen, zumindest ihre Sprache sprechen müssen. Wir sind beauftragt, missionarisch zu sein, nach außen zu wirken und verständlich zu reden. Wenn Zeitgeist aber das Nachhecheln jeder Modeströmung ist, wäre der Vorwurf berechtigt. Ich nehme meine Kirche immer noch als zu unbeweglich wahr.
Jetzt müssen Sie weniger Manager-Tätigkeiten ausüben, sondern wieder mehr Theologie betreiben. Wie kann man aber in dieser säkularen Stadt Berlin und gerade jungen Leuten vermitteln, dass Theologie wichtig ist?
Auf dem Kirchentag ist das Zauberwort Partizipation – und vielleicht lässt sich das auch auf die Lage hier übertragen. Bei der Gestaltung neuer Formen spirituellen Lebens und der Mitwirkung in den verschiedenen Bereichen unserer Kirche gibt es viele Möglichkeiten, Menschen anzusprechen und einzuladen. Auch die Kirchenmusik ist dabei eine besondere Chance, die wir noch nicht voll ausgeschöpft haben. Wir sollten diese Arbeit aber nicht koppeln an ein verpflichtendes, hartes Arbeitsethos, sondern mehr in dem Sinne: Ihr könnt hier bei uns etwas für euch tun.
Berlin gilt mit einigem Recht als eine der religionsfernsten Metropolen der Welt. Ist hier die zukünftige Lage der Kirche zu erkennen?
Wir leben in einer Umwelt, die zu wenig vom christlichen Glauben weiß. Die Vermittlung von Wissen über das Christentum bleibt ein Bildungsauftrag der Kirche. Die aktuelle Debatte um den Religions- und Ethikunterricht in Berlin zeigt das ja. Das, was man von uns sieht, muss werbend sein, und auf keinen Fall eine Besitzstandswahrung oder ein Lobbyismus. Das sind Aufgaben, die den Schweiß der Edlen wert sind. Ich habe meine Kinder in einer sehr säkularen Umwelt aufgezogen – und das hat ihnen und mir nicht geschadet. Die Zeiten jetzt werden auch wieder Chancen hergeben, die wir damals ja auch gefunden haben. Vielleicht ist es ja genau das, was die Kirche braucht.
Im Grunde stehen zwei Thesen immer nebeneinander: Einerseits nehme die Säkularisierung zu, andererseits soll Religion wieder kommen – was stimmt denn nun?
Beides. Die Zugänge zu den Kirchen nehmen ab, die Kirchen werden kleiner. Anderseits gibt es ein diffuses Bedürfnis nach dem Religiösen, der Sinnfrage und den Grenzen des Lebens. Mit einen klaren Profil Evangelischer Kirche wollen wir eine Brücke bauen für die, die auf der Suche sind. Wir können sagen: Wir haben ein Angebot zu machen. Wir haben eine Sprache, Bilder, Gleichnisse, Geschichten und Musik für das, was ihr sucht. Wir haben unendlich viele Antworten. Es ist nicht so, dass ihr sie kennt.