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Archiv-Artikel

Wenn man zum Mörder wird

ABEND MIT SHAKESPEARE Ein wenig erwartbar, aber viele schöne Nebengedanken: Jan Philipp Reemtsma sprach im Maxim Gorki Theater über die Gewaltfrage im Werk des Dramatikers: Er spiegelte das Unsagbare

Man kann Macht gewaltsam erringen, erhalten aber nur mit Loyalitäten

VON SUSANNE MESSMER

Zu den schönsten Moment dieses Abends im Maxim Gorki Theater gehörten ganz unbedingt jene, in denen Jan Philipp Reemtsma einfach nur Shakespeare las. Er las ihn mit Understatement, mit Humor. Jeder Halbsatz, jeder Nebengedanke, jede noch so kleine Beobachtung Shakespeares brachte er derart zum Funkeln, dass das, worüber Reemtsma eigentlich sprach, ganz verblasste.

Geladen war der gelernte Germanist, Philosoph, Gründer der Arno Schmidt Stiftung und des Hamburger Instituts für Sozialforschung nämlich, um vor 30 bis 40 Zuhörern über die Gewaltfrage bei Shakespeare zu sprechen, über die „Erfindung eines gewaltempfindlichen Gewissens“, genauer gesagt – und zwar im Rahmen der achten „Geschichtsräume“, einer Veranstaltungsreihe des Maxim Gorki Theaters, die Armin Petras’ Stück „Die Wohlgesinnten“ flankiert – jenem Stück nach Jonathan Littell, das die Geschichte eines fiktiven SS-Führers erzählt.

Ekel vor Grausamkeit

Es war also klar, worum es an diesem Abend gehen würde: um Reemtsmas These, die er in seinem Buch „Vertrauen und Gewalt“ entwickelte: Das Gewissen, der Ekel vor grundloser Grausamkeit, vor „autotelischer Gewalt“, wie sie Reemtsma nennt, ist erst in der Moderne entstanden. Indem sie verlangt, dass Gewalt legitimiert werden muss, schafft die Moderne auch die Möglichkeit, in die Barbarei eines Hitler oder Stalin zurückzufallen.

Shakespeare, der zwei Epochen angehörte, sah diese Moderne bereits, er „hat alles vorausgewusst“, wie Reemtsma Karl Kraus zitiert, er kannte aber auch noch das kalte Verhältnis der Renaissance zur Gewalt als notwendigem Übel. Reemtsma zeichnet eine Entwicklung innerhalb des Werkes von Shakespeare, die spontan einleuchtet: Am Anfang steht Titus Andronicus, ein Bühnenblutbad, das 21 Tote zu verzeichnen hat, noch bevor der Vorhang aufgeht. Nur in einer winzigen Szene deutet sich Menschlichkeit an: Titus hat einen Moment lang Mitleid mit einer Fliege, bevor er in seinen Zweckrationalismus zurückfällt.

Dann kommt Richard III., ein noch früheres, aber reiferes Stück. Als der nach all den Morden ganz allein ist auf dem Gipfel der Macht, da macht ihm das plötzlich etwas aus. Und doch „regt sich erst, was später Gewissen werden soll“, so Reemtsma. Denn was ihn eigentlich wurmt, ist etwas anderes: Man kann Macht gewaltsam erringen. Erhalten kann man sie nur mithilfe von Loyalitäten.

Am Ende steht Lady Macbeth, die als skrupellose Karrierefrau den Plan betritt und schließlich in der berühmten Szene, als sie sich die unsichtbaren Blutflecken von den Händen waschen will, an ihrem Gewissen zerbricht. Hier, so Reemtsma, erfährt man nicht nur, „dass der Mörder mordet, sondern was er sich selbst antut, indem er Mörder wird“.

All das leuchtet so sehr ein, dass es an diesem Abend fast schon überraschungslos daherkam. Und darum lebte die Veranstaltung auch weniger von der zweifellos brillanten Analyse Reemstmas als von seiner euphorischen, beweglichen Sprache, seinen interessanten Nebengedanken, die die Dinge eher elegant umkreisen, als sie stur auf den Punkt bringen.

Zum Beispiel diesem: Shakespeare hat manches so ungeheuerlich unpassend beschrieben, dass er die Ungeheuerlichkeit, das „Unsagbare“, das „Unsägliche“, wie Reemtsma schwärmt, eher spiegelte als beschrieb. Oder auch diesem: Als Macbeth seinem ersten Opfer als Geist wiederbegegnet, da sagt er „doch heutzutage stehn sie wieder auf …“. Das Gespenst ist schon hier nichts Archaisches, sondern etwas Modernes. Es stört das Leben nach Haudegenart.

Und nun noch eine Randnotiz zum Schluss, die zu verkneifen unmenschlich wäre: Die Marmorbar im Maxim Gorki Theater ist schön anzuschauen, die Servicekräfte hinterm Tresen sind freundlich, der Filterkaffee aber schmeckt nach Fliesenkleber und grenzt somit an autotelische Gewalt.