„Der Euro ist nicht in Gefahr“

Wirtschaftsweiser Peter Bofinger fordert EU-weit abgestimmte Lohnpolitik

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Die Europäische Verfassung ist abgelehnt, ein gemeinsamer Finanzplan kommt nicht zustande. Ist der Euro in Gefahr?

Peter Bofinger: Nein. Denn der Geldwert ist stabil. Die durchschnittliche Inflationsrate seit 1999 beträgt zwei Prozent. Bei der D-Mark waren es vorher drei Prozent.

Die ökonomischen Spannungen im Euroraum nehmen zu. Klaffen wirtschaftliche Basis einiger Länder und Währung nicht zu stark auseinander?

Die Euroländer haben noch nicht richtig gelernt, mit der gemeinsamen Währung umzugehen. Wir brauchen eine Daumenregel für eine abgestimmte Lohnpolitik. Die jährliche Erhöhung eines Landes sollte sich zusammensetzen aus dem jeweiligen Produktivitätszuwachs und einem Inflationsausgleich, der sich an der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp zwei Prozent orientiert. Für Deutschland wären das knapp drei Prozent Lohnzuwachs. Das wäre mehr als jetzt. Würde die EU-Kommission darauf achten, dass die Eurostaaten eine derartige Faustregel beachten, könnten die Lohnkosten in Deutschland nicht stagnieren, während sie in Italien zu stark steigen. Die Entwicklung verliefe harmonischer. Das Maastricht-Kriterium für die Verschuldung reicht als gemeinsame Wirtschaftspolitik eben nicht aus. Aber das kann man noch lernen.

Wenn Wirtschaft und Währung sich widersprechen, könnten Spekulanten versuchen, das betreffende Land aus dem System herauszubrechen.

Selbst die mächtigsten Spekulanten der Welt können kein Land aus der Eurozone herausbrechen. Man kann nicht mit italienischen Euro gegen deutsche Euro spekulieren. Das ist ja gerade das Geniale an der gemeinsamen Währung. Mit der Einführung des Euro haben wir den internationalen Finanzmärkten mit einem Schlag die Möglichkeit genommen, die Währung eines Staates gegen eine andere auszuspielen. Von dieser Stabilität profitieren wir jetzt.

Viele lehnen die EU-Verfassung ab, weil sie die wirtschaftliche Freiheit vorantreibe, ohne einheitlichen sozialen Schutz zu gewährleisten. Halten Sie eine gemeinsame Sozialpolitik für notwendig?

Sie ist nicht zwingend. Wenn die Lohnentwicklung einer einheitlichen Linie folgt, sollte jedes Land seine eigene Sozialpolitik machen können. Mit der Stabilität der Währung hat das jedenfalls nichts zu tun.

Die politische Fortentwicklung der Europäischen Union ist erst einmal gestoppt. Können Markt und Währung ohne eine gemeinsame Politik auf Dauer existieren?

Wenn ein paar Grundregeln beachtet werden, schon. Viele Bürger kritisieren Europa doch deshalb, weil die wirtschaftliche Dynamik fehlt und nicht genug Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ließe sich in der Tat ändern, wenn wir eine besser koordinierte makroökonomische Politik hätten. Der Euroraum braucht eine Finanzpolitik aus einem Guss. Das fehlt bisher und ist dafür verantwortlich, dass wir in den letzten Jahren sehr viel weniger Dynamik hatten als die Vereinigten Staaten.

Politische Vision und demokratische Kontrolle der EU-Kommission durch das Parlament sind zweitrangig – Hauptsache der Markt funktioniert?

Wenn die makroökonomische Steuerung durch die Politik klappen würde, wäre schon viel gewonnen. Die Transparenz der Institutionen und die demokratische Legitimation der EU sind natürlich wichtig, wenn wir weiter vorankommen wollen. Aber auch ohne die weitere Integration wird das Erreichte nicht unbedingt in Frage gestellt.

Europa hat die Chance, dem globalen Freihandel etwas entgegenzusetzen. Kann dieses Projekt noch scheitern?

Ich glaube nicht. Was wäre denn die Alternative? Dass die europäischen Staaten wieder zurückgehen auf ein Stadium mit Grenzkontrollen und Einfuhrzöllen? Das wird nicht passieren. Deutschland würde ja auch nicht auf die Idee kommen zu den Verhältnissen des 18. Jahrhunderts zurückgehen, als zum Beispiel der Fürstbischof von Würzburg noch einen autonomen Staat in Unterfranken regierte.