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Archiv-Artikel

Wie der Kalte Krieg sich am Badesee anfühlte

ALTE LIEBE Florian Voß erzählt aus zwei Perspektiven von einer Rückkehr in die Provinz und die Stagnation der Kohl-Jahre: „Bitterstoffe

Okay, es geht in diesem Buch auch um Sex und durchaus auch um welchen, der nicht mainstreamgerecht scheint, aber das ist in diesem schmalen, dichten Roman nur ein Randthema. Das eigentliche Thema lautet: die Verfremdungseffekte, die sich bei einer Rückkehr in die Provinz, beim Wiederfinden einer alten Liebe und beim Überschlagen des zeitlichen Abstands einstellen.

Erzählt wird aus zwei Perspektiven, und das ist schon mal ein guter Kniff. Der Roman wird wechselweise aus der Sicht der männlichen Hauptfigur Felix und seinem weiblichen Widerpart Julia beschrieben. Das ist gut gemacht, und dank Kapiteleinteilung auch übersichtlich. Dass Szenen so doppelt erzählt werden und die jeweils unterschiedliche Sicht einiges klarmacht, hilft. Eine Parteinahme ist so nicht so einfach.

Felix und Julia waren einmal ein Paar, damals in der badischen Provinz, jetzt führt sie ein Todesfall im gemeinsamen Bekanntenkreis wieder zusammen. Dort ist natürlich alles völlig seltsam, von Erinnerungen nicht nur umstellt, sondern bestimmt. Was besonders für die Beziehungen zu gemeinsamen Freunden, besonders aber für die zwischen Felix und Julia gilt. Es endet, wie solche Geschichten oft enden: mit einem kalten Fick irgendwo im Freien, beim anschließenden Fremdeln, beim scheiternden Versuch, wieder an alte Bande anzuknüpfen, der im Irrglauben fußt, dass die Gefühle der Zwischenzeiten es niemals mit denen aus der Vergangenheit aufnehmen können. Und am dritten Ende des Dreiecks.

Erzählt ist „Bitterstoffe“, der Titel wird nur im Ungenauen klar, in einer angenehm kargen, nüchternen, heruntergeschraubten und doch immer wieder zu poetischer Wirkkraft fähigen Sprache. „Ich ging hinein und umarmte meine Großmutter. Die Fliesen des Flures waren kühl unter meinen Füßen.“ Eine Beschreibung, eine zweite, und schon ist ein ganzer Emotionskosmos dargestellt. Ein Roman, geschrieben in den Zeiten des Achtziger-Revivals: Wer ungefähr wissen möchte, wie sich Kleinstadttristesse, die Kälte des Kalten Krieges, die Stagnation der ersten Kohl-Jahre angefühlt haben und wie anders und doch gleich sich die Jahre in den Zeiten der Wirtschaftskrise im prosperierenden, aber immer noch elenden Berlin anfühlen, der kann es hier nachlesen und nachempfinden. Die Sonne scheint kaum in dieser Narration, von guter Laune, permanenter Humorbereitschaft und Aufbruchstimmung ist nur wenig zu spüren. Ein Ausflug an den Badesee endet im Untergang eines Menschen. Dieser Mensch war ein alter Nazi. Irgendwie sagt das schon alles.

Der Rotbuch Verlag, in dem dieser knappe Roman erscheint, versucht derzeit, an seine große Tradition des politischen und gleichsam populären Erzählens (Peter Schneider: „Lenz“) anzuknüpfen. Mit dem Buch von Florian Voß, der bislang hauptsächlich als Lyriker in Erscheinung trat, ist ein guter Start gelungen.

RENÉ HAMANN

Florian Voß: „Bitterstoffe“. Rotbuch Verlag, Berlin 2009. 128 Seiten, 16,90 €