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Archiv-Artikel

Populär und große Kunst

KRIMI „Der Brenner und der liebe Gott“: Wolf Haas ist mit seinem siebten Brenner-Roman auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis gelandet. Na endlich!

Wolf Haas

■ Der Österreicher: Haas wurde 1960 in der Nähe von Salzburg geboren. Dort begann er mit 20 ein Studium der Psychologie, Germanistik und Linguistik.

■ Die Preise: Drei seiner Brenner-Romane gewannen den Deutschen Krimipreis; der siebte landete nun auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.

■ Die Filme: Von „Komm, süßer Tod“, „Silentium“ und „Der Knochenmann“ gibt es überaus vergnügliche Verfilmungen.

VON PETER UNFRIED

Dass der Brenner nun doch wieder da ist: War das wirklich nötig, gerade künstlerisch betrachtet? Die Figur des österreichischen Privatermittlers schien auserzählt, wie man so sagt. „Der Brenner und der liebe Gott“ ist nun aber als siebter Roman des österreichischen Schriftstellers Wolf Haas erschienen, wieder mit dem früheren Polizisten Simon Brenner als einsamen Wolf und Ermittler. Manche nennen das literarische Genre „Krimiparodie“. Die haben das Wichtigste aber versäumt.

Haas ist 48, kommt von unten und vom Dorf. Er verdankt die Matura der Bildungspolitik der österreichischen Sozialdemokratie in den 70ern (verkürzt: Kreisky). Verkehrte dann in den üblichen Kreisen von Grün wählenden Menschen, die aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen scharenweise ein Studium voller Inhaltlichkeit, aber ohne Berufs- und Karriereperspektive absolvierten. Danach wurde er Werber.

Anfang und erstes Ende vom Brenner

„Eigentlich denkt man, die Werbung sei eine Scheinwelt, aber für mich war es ein Einstieg in die Realität“, sagt er in einem früheren Gespräch. Er lernte neue Menschen kennen, „Leute, die Autos besaßen und denen die Marke wichtig war“. Die auf „Leistung“ standen. Skrupel gehabt, Leute gezielt zu belügen? Haas: „Oooch, ja.“ Aber es sei immer eine Zwischenstation gewesen. Werben ersparte ihm ein Stipendium („Ich wollte nie in den Förderzirkus einsteigen“).

Dann kam Brenner. Großer Erfolg. Preise. Verfilmungen. Nachdem 2003 der sechste Brenner erschienen war, hatte Haas genug vom Brenner. Vom Brenner-Schreibstil. Davon, dass er die österreichische Psyche durchdringe. Dass Leute Arbeiten verfassten über „Das Österreichische bei Wolf Haas“. Dass er der all-Austrian Good Guy geworden war. Der Konsens-Literat. Er sehnte sich zurück in die Zeit, als sich Leute an ihm rieben, die sagten: sooo gehe es aber nicht. So ohne Verben und so weiter. Also sagte er: Kein Brenner mehr.

Und er rieb ihnen ganz was Neues unter die Nase, damit sie was zum Rümpfen hatten. Und zum Reiben. Das Interview als literarische Form. Also: Der Schriftsteller „Wolf Haas“ (vgl. Brad Easton Ellis) wird von einer klugscheißerischen Germanistik-Tanten-Literaturredakteurin namens „Literaturbeilage“ über seinen neuen Roman interviewt. 220 Seiten lang.

Man konnte „Das Wetter vor 15 Jahren“ als Befreiungsschlag lesen und auch als Abrechnung oder sagen wir mal: Auseinandersetzung mit Literaturjournalisten und der Interviewsituation. Mit Schriftstellern aber auch. Perfekt durchkomponiert. Auf seine Art großartig. Und es war, jetzt mal im Ernst, streckenweise wirklich schwer zu lesen.Weil insiderisch und so ambitioniert, dass es ins Verkrampfte überging.

Jetzt aber wieder Brenner. Da werden die psychologisierenden Schlaumeier darauf hinweisen, dass Haas ja im sechsten und scheinbar letzten Band die wichtigste Person hat sterben lassen. Nicht den Brenner, sondern den auktorialen Ich-Erzähler. Den Erschaffer des Brenner-Sounds. Damit wirklich Schluss ist. Damit möglicherweise doch nicht Schluss ist?

Jetzt ist einfach wieder ein Ich-Erzähler da. Der ist ein laut eigener Einschätzung gereifter Charakter. Ist es der alte Erzähler, ein neuer? Ihn bringt jedenfalls nichts mehr aus der Fassung, er ist „die Ruhe in Person“. Weil er ja tot ist? Wurscht. So was färbt jedenfalls auf den Leser ab. Der Brenner ist gereift. Und zwar zu einem „Herr Simon“, einem Chauffeur, der erstaunlich unbrummig seinem Leben nachgeht. Er ist dafür zuständig, die zweijährige Tochter einer Patchworkkarriere-Ehe zwischen Bauunternehmer und Abtreibungsärztin und ihren jeweiligen Standorten Wien und München hin und her zu kutschieren. Aber dann geht er nach dem Tanken zum Bezahlen in die Tankstelle. Und als er zurückkommt, ist Helena aus dem Auto verschwunden. Es dauert nicht mehr lang oder genauer gesagt bis Seite 56, und dann ist aus dem korrekten Herrn Simon wieder „ein alter Brenner“ rausgeschlüpft.

Dann tritt auch schon die Frau auf, die ihn berührt. „Du hascht aber gute Ohren“, sagt sie zum Brenner. Er hat sie als Südtirolerin identifiziert. Und das ist der Moment, wo man sich beim Lesen sofort fragt, wer die Rolle wohl in der Verfilmung spielen wird. Die Südtirolerinnen sind nämlich, behauptet der Erzähler, die schönsten Frauen der Welt. Und damit kommt, bei allem Respekt, nicht mal mehr Birgit Minichmayr für die Rolle in Frage. Obwohl: Den Satz „Kotzescht du gerade?“ würde man gern von ihr hören.

Wer sich immer gefragt hat, ob Brenner tatsächlich ein 68er ist, erfährt, dass er 1969 – im Jahr des Woodstock-Festivals – zwar nicht dorthin fuhr, aber immerhin nach Stuttgart. Um dort Jimi Hendrix zu hören. War es Bachs „Komm, süßer Tod“ im dritten Brenner-Roman, so ist es diesmal Brenners Mobiltelefon-Klingelton, der womöglich eine geheime Botschaft birgt und transportiert. Es ist der Song „Castles Made of Sand“ von Hendrix’ zweitem Album „Axis: Bold As Love“. (Was den Kern der Botschaft angeht, so habe ich ihn nicht entschlüsselt. Aber Wikipedia bietet verschiedene Interpretationen an.)

Der neue Brenner und die schöne Südtirolerin

Ansonsten gibt es bei Haas und Brenner das, was es auf Erden gibt: wenig Gott. Mehr wie verlogen die Leute sind, vor allem die Reichen, wie brutal der Kapitalismus ist, wie leer und oberflächlich die Warenwelt. So was zu transportieren, ist bekanntlich das Schwerste, wenn es nicht Naomi-Klein-Leitartikelstyle sein darf. Darf es nicht. Ist es nicht. Der Kern des Buchs besteht aus klugen, cleveren Aphorismen, Beobachtungen, Erkenntnissen, die der Erzähler dem Leser – „wo wir unter uns sind“ – mitgibt.

„Gibt es Härteres, als lesend und grinsend zu ahnen, wie viel armer Brenner man selbst ist?“

Zum Beispiel, was einen guten Chef und gute Mitarbeiterführung ausmacht. „Der hätte vielleicht sogar Lust, jeden Einzelnen, der es verdient hat, persönlich in die Scheiße zu tunken, aber er muss es seinem Mitarbeiter überlassen, damit der motiviert ist.“

Wo liest man denn sonst so was? Und darüber, wie die Männer sind. Sagen wir: bedenklich. In seiner Tiefe unerreicht des Erzählers Einschätzung der Abtreibungsärztin: „Nett, intelligent, Spitzenfigur, alles.“ Und wie die Frauen sind. „Die Südtirolerin hat sofort die weibliche Doppelbelastung auf sich genommen, sprich gleichzeitig den Mund und die Augen arrogant in verschiedene Richtungen verdreht.“ Gibt es Härteres, als das zu lesen, zu grinsen – wieder mal zu ahnen, wie viel armer Brenner man selbst ist.

Und damit zur Frage des Brenner-Franchise: mein Gott. Wir leben in einer Kultur der Franchise. Harry Potter, Bourne-Ultimaten, Ice Age. Janet Evanovich hat in diesem Jahr den fünfzehnten Krimi mit derselben Heldin veröffentlicht, immer Probleme mit Männern und Gewicht, immer New York Times-Bestsellerliste. Man kann mit gutem Grund argumentieren, es sei gut, dass es keine zwanzig Folgen der Buddenbrooks gibt. Oder von Stiller. Aber ich habe zum Vergleich soeben Faye Kellermans siebzehntes Buch mit ihrem Ermittler Peter Decker („The Mercedes Coffin“) gelesen. Es ist von letztem Jahr, es gibt jetzt schon den achtzehnten.

Derart geerdet Folgendes: Es wäre falsch, ein Ende des Brenner-Franchise mit einer klassisch-hochkulturellen Argumentation („auserzählt, kommerzielle Interessen“ etc.) zu verlangen. Es gibt zwei Linien, die normalweise weit entfernt voneinander verlaufen. Hier die Massenkultur, dort große Kunst. Richtig interessant wird es, wo sie sich kreuzen und große, populäre Kunst großen Einfluss bekommt; auf Kultur, Gesellschaft und den Markt. Also: Seinfeld, Steely Dan, FC Barcelona. So gesehen, darf das Brenner-Franchise ruhig noch ein bisschen wachsen. Sagen wir: Computerspiele, Fernsehserie, Brenner-Kalender, Brenner-Tattoos, Brennerpedia, Collection Brenner.

Wem das jetzt zu viel ist: Man kann auch sagen, mit dem siebten Brenner ist es wie mit dem siebten Kind. Erst zerreißt sich die ganze Nachbarschaft das Maul, dass es das ja nun nicht mehr gebraucht hätte. Und dann schauen sie dem Nachzügler in die Augen und müssen zugeben, es ist doch ganz schön, dass der jetzt auch noch da ist.

■ Wolf Haas: „Der Brenner und der liebe Gott“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 224 Seiten, 19 €