: berliner szenen Kein Hass, nirgends
Coldplay in Berlin
Es ist vor allem Nostalgie, die uns an diesem sonnigen Sonntag eiswasserkalt erwischt. Da steht er also, der dürre, spirrelige, der sehnige und langfingrige Dandy Richard Ashcroft, tragisch gescheitert irgendwie und dennoch überlebensgroß. Man fragt sich: Kann es wirklich sein, dass seine unendlich weiten, seine unsterblichen Songs, die er schrieb, als sich seine Band The Verve schon auflöste – als er schon lieber spazieren ging, während sich seine Kollegen noch den Kopf im Studio zerbrachen – kann es wirklich sein, dass diese Songs auch schon wieder fast zehn Jahre alt sind? Songs wie „The Drugs Don’t Work“ zum Beispiel?
Nach einem solchen Auftritt kann eine Band wie Coldplay jedenfalls nur noch abfallen. Dabei hatte man es sich so fest vorgenommen, ihr trotz aller Anfechtungen wohlgesonnen gegenüberzustehen! Es kann doch nicht sein, dass man sich eine Band verderben lässt, nur weil sie jetzt alle gut finden! Man kann doch nicht vom Glauben abfallen, nur weil jetzt alles schreiben, Chris Martin sei der Richard Clayderman der Zwanzigjährigen!
Doch. Man kann. Denn es ist alles wahr. Man kann keine Band mögen, bei der es keinen Aufruhr, keinen Hass und keine Aggressionen gibt. Man kann keinen lieben, der so schön ist und so schön singt, dass 12.000 Besucher wie aus einer Kehle bei jedem Song von vorne bis hinten mitsingen. Es ist nicht möglich, Fan einer Band zu sein, deren Shows von Schauspielern besucht werden, die sonst ausschließlich in deutschen Vorabendserien auftauchen. Und man kann es nicht gutheißen, dass man am Ende nicht einmal weiß, welche der Songs denn nun gespielt und welche ausgelassen wurden. Da half auch der schöne Himmel über der Wuhlheide wenig. SUSANNE MESSMER