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: Der Süden drückt

Was ist bloß bei der „Süddeutschen Zeitung“ los? Jetzt schickt sie ihre Mitarbeiter schon in den Norden, um dort neue Leserinnen zu gewinnen.

Vor rund anderthalb Jahren mussten wir an dieser Stelle von dem traurigen Mann in dem etwas großen Karosakko berichten, der zu später Abendstunde durch Hamburger Bürgerlokale schlich, um die noch druckmaschinenwarme Zeitung Die Welt loszuwerden. Damals, so musste man annehmen, handelte es sich um einen Redakteur des Springer-Blattes, der einfach alles dafür tut – geht nur irgendwie die Auflage des chronisch defizitären Blattes hoch, kann er nur irgendwie seinen Arbeitsplatz retten. Gestern Abend nun durften wir mit einem weiteren Kollegen der Zeitungswelt Bekanntschaft machen.

In Hamburg war das Lüftchen lau, in seinem Hot-Spot Ottensen, dort, wo auch bei vorgerückter Alterszahl der Hipness-Puls heftig schlägt, saßen die Menschen vor den Lokalen ihrer neuen Spießigkeit und stießen auf etwas ganz besonders Aufgedrehtes: „Hallo, ich bin von der Süddeutschen Zeitung!“, rief ein junger Mann begeistert aus, Mitte 20 vielleicht. Ganz in Schwarz war er gekommen, das unterstrich seine Musikfernsehen-kompatible Ausstrahlung perfekt und katapultierte ihn ins Glied dessen, was Deutschland ist: eine trendbewusste Verwertungskette. Denn wir hatten zunächst angenommen, der Mann sei ein Denker und auf der Suche nach Protagonisten, Zeitzeugen oder anderem Inventar für seine Artikel „Hallo, ich bin von der Süddeutschen Zeitung!“, ergoss sich nun ein Schwall unheimlich motivierter Abo-Werbung. Ganz, als hätte er die Anpreisung von Klingeltönen als seine Schule verstanden, ratterte der Daniel Küblböck der Zeitungsbranche das verlockende Angebot runter: „Zwei Wochen umsonst lesen und nicht kündigen!“

Später stellte sich heraus, dass ein anderer, eher verloren zwischen den Abendgästen hin und her wackelnder junger Mann auch „Mitarbeiter“ der Süddeutschen Zeitung ist. Weil dieser wiederum die Prämisse „lange Haare, na gut, aber gepflegt müssen sie sein“ nicht erfüllen konnte und auch den Anforderungen eines modernen Medienunternehmens nach Leserbindung durch Kompetenz, Flexibilität und Schnelligkeit nicht genügte, machen wir uns nun ernsthaft Sorgen um unsere zweite Lieblingszeitung.

Was, wenn die unter 30-Jährigen dort alle so sind? Was, wenn das die Zukunft ist? Was wird dann aus dem Streiflicht? Der Seite drei, der Wettervorhersage? Dem Feuilleton kann das nicht mehr schaden. Aber dem Rest? Vielleicht kauft man dann besser Die Welt. Da hat man dann wenigstens das Gefühl, ein soziales Projekt zu unterstützen.

SILKE BURMESTER