: burkablaue stunde
GEDICHTE Aggressive Einladung an den Leser: Guerillalyrik von Tim Bresemann
das nennst du weltkrieg? / hier ist alles in ordnung.“ Das ist nicht unbedingt eine Schlagzeile, wie man sie im Fahrgastfernsehen der hauptstädtischen U-Bahnen lesen würde. Das „Berliner Fenster“, das im öffentlichen Nahverkehr die Fahrgäste der BVG mit Informationen und Werbung versorgt, lieh Tom Bresemann trotzdem den Namen für seinen zweiten Gedichtband. Diese ersten Zeilen des Bandes stellen schon darauf ein: Wir sollen herausgefordert werden.
Bei der bloßen Provokation hören die Gedichte nicht auf, sie gehen auf Konfrontationskurs. Mit ihrer Leserschaft, aber auch mit sich selbst. Da steht niemand hinter und erhebt den Zeigefinger. Selbst wenn mal der müde Kalauer vom „Dolce / Guevara“ eine klare Haltung transportiert oder Verse wie „zu burkablauer stunde eröffnet / die migrationssichel von tausendundeiner nacht“ den aktuellen Diskurs ausnutzen: Die Texte servieren uns keine mundgerecht portionierten Botschaften, sie sind als aggressive Einladung zu einem Spiel zwischen Gedichten und Leserschaft zu verstehen.
Wie könnte man nicht gegen Verse wie „ich will / auf keinen fall wie ein schwuler / diskriminiert werden“ protestieren wollen? Wir leben doch in einer aufgeklärten, toleranten Gesellschaft. „nicht, dass ich probleme mit denen hätte, / ich hab sogar einige in meinem bekanntenkreis, / die sind eigentlich ganz normal“, heißt es an anderer Stelle. Können wir das nicht eigentlich viel eher unterschreiben?
Das macht das Besondere an der Lyrik Bresemanns aus: Die Sprache selbst führt uns unsere eigenen Widersprüchlichkeiten vor. Aber weder belehren diese Texte, noch klären sie auf. Daran sind sie nicht interessiert. Sie setzen auf Widerwillen und bieten im gleichen Zug Identifikationsmöglichkeiten. Und verwirren uns damit: Wie stehen wir nun eigentlich zu Homosexualität? Lyrik, die Fragen aufwirft, weil sie so viele vermeintliche Antworten liefert.
Das eigene Denken, unser alltäglicher Umgang mit sozialen Problemen wirkt plötzlich befremdlich. Das ist vor allem der Sprache dieser Gedichte geschuldet. Slang trifft auf Wirtschafts- und Mediensprech, Anglizismen, Bibelzitate und hohen Ton. Überraschend, wie organisch sich dieser krude Mix in Zeilen wie „es ist schon spät / es wird schon// kalt, der januar als tatort // der verheißung“ liest, wenn Eichendorff auf ernüchternde Sachlichkeit trifft. Darin liegt ebenfalls jede Menge Humor und Absurdes. Es macht einfach Spaß, den Band zu lesen, trotz oder eben gerade wegen der ständigen Herausforderungen. Selbst wenn diese über die Länge eines ganzen Lyrikbandes etwas an Schlagkraft verlieren. Hat man das Wirkungsprinzip erst verinnerlicht, kann man Sticheleien wie „wenn ich reich bin, baue ich kein haus –, / ich kauf mir eure“. schnell abnicken.
Bresemann liefert im Nachwort noch eine kurze poetologische Erklärung, positioniert sich deutlich gegen „Deeskalations-Gedichte“, er will „belastbare, anfassbare“ Lyrik. Mit der gehen jedoch Probleme einher: Ihr Prinzip ist nach einigen Texten schon klar, rennt dann lediglich offene Türen ein. Der Überraschungseffekt droht sich abzunutzen. Wieder und wieder tauchen Geschlechtsteile auf, ob nun in Berlin-Neukölln gezüchtet oder klein und salzig. Aber verliert das Skandalon nicht seine Spitze, wenn es auf eine Leserschaft trifft, die mit semipornografischer Polemik übersättigt ist?
Auch wenn es also eine Gefahr darstellt, so aktuell zu sein: Die Gedichte aus „Berliner Fenster“ bleiben Guerillalyrik, poetische Street Art. Ein hässlicher Fleck, der sich als Spiegel entpuppt. Sie würden sich exzellent auf Hausfassaden machen. Nicht an denen der sogenannten Problembezirke, nicht in Neukölln. Sie würden sich perfekt einpassen auf der Friedrichstraße, der Kö, dem Jungfernstieg, der Maximilianstraße. Mit Laufpublikum, das herausgefordert wird. Nicht von ungefähr beendet Bresemann seine Erklärungen mit den Worten: „Willkommen in der Mündigkeit.“
KRISTOFFER CORNILS
■ Tom Bresemann: „Berliner Fenster“. Berlin Verlag, Berlin 2011, 80 Seiten, 16 Euro