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Archiv-Artikel

Bundeswehr lässt bomben: Neunzig Tote

AFGHANISTAN-KRIEG Bundeswehr bestellt Luftschlag auf zwei von Taliban gestohlene Tanklaster. Zahl der zivilen Opfer unklar

BERLIN taz | Durch einen von einem Bundeswehroffizier beim nordafghanischen Kundus angeforderten Luftangriff sind am frühen Freitagmorgen nach Angaben des afghanischen Präsidialamtes etwa 90 Menschen getötet worden. Es ist damit nicht nur der von deutschen Soldaten veranlasste Angriff mit der bisher höchsten Opferzahl in Afghanistan überhaupt, sondern vielleicht auch der mit der bisher höchsten Anzahl ziviler Opfer. Die genaue Zahl der Getöteten wie auch deren Zusammensetzung aus Taliban und möglichen Zivilisten blieb gestern unklar.

Die Bundeswehr sprach zunächst von mehr als 50 getöteten Aufständischen und davon, dass Zivilpersonen „vermutlich nicht zu Schaden gekommen“ seien. Aus afghanischen Polizeikreisen hieß es hingegen, bis zu 40 Zivilisten seien getötet worden. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte in Brüssel: „Es besteht auch die Möglichkeit ziviler Opfer“. Die UN wie die von der Nato geführte internationale Isaf-Schutztruppe in Afghanistan versprachen, Untersuchungen durchzuführen. Doch dürfte es sehr schwierig bis unmöglich sein, verkohlte Leichen letztlich den Taliban oder der Dorfbevölkerung zuzuordnen. Der Fall könnte deshalb vielleicht nie aufgeklärt werden.

Zu dem Angriff war es gekommen, nachdem Taliban-Kämpfer in der Nacht an einer von ihnen errichteten Straßensperre südwestlich von Kundus zwei Tanklastwagen mit Nachschub an Treibstoff für die Bundeswehr entführt hatten. Die Aufständischen blieben kurz darauf jedoch mit den Fahrzeugen an einem Fluss stecken. Nachdem eine Aufklärungsdrohne die Laster und zahlreiche feindliche Kämpfer lokalisiert hatte, forderte der deutsche Offizier die Bombardierung durch US-Kampfjets an. Inzwischen hatten aber zahlreiche Dorfbewohner, womöglich auf Aufforderung oder Einladung der Taliban, damit begonnen, Treibstoff aus einem der Fahrzeuge abzuzapfen. Bei dem Luftangriff explodierten dann die zwei Tanklaster und töteten die Menschen drumherum.

Im Krankenhaus von Kundus wurden laut der Nachrichtenagentur AP zwölf Personen mit schweren Verbrennungen eingeliefert, darunter ein zehnjähriger Junge. Ein Taliban-Sprecher bestätigte die Kaperung der Fahrzeuge und dass diese im Fluss stecken geblieben seien. Um sie wieder flottzubekommen, sei Treibstoff abgelassen worden.

Afghanistans Präsident Hamid Karsai ließ zum wiederholten Mal erklären, dass zivile Opfer bei den Einsätzen des internationalen Militärs in Afghanistan inakzeptabel seien. Erst kürzlich hatte der Isaf-Oberkommandierende, der US-General Stanley McChrystal, seinen Truppen angewiesen, die Zivilbevölkerung unbedingt zu schützen. Der jetzige Fall dürfte aber – letztlich wohl unabhängig von den wirklichen und wohl kaum noch verifizierbaren Ereignissen – in Afghanistan wie in Deutschland die Debatte um den Militäreinsatz anheizen. SVEN HANSEN

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