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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH Was in Baku wirklich zählt

Europa schaut an diesem Samstag nach Aserbaidschan. Der Eurovision Song Contest und die Frage nach den Menschenrechten in dem Land am Kaspischen Meer bestimmen die Berichterstattung. Dabei geht völlig unter, dass in diesen Tagen in Baku eine für Europa viel gravierendere Entscheidung gefallen ist.

Es geht um die realen Schätze Aserbaidschans, um Öl und Gas aus dem Kaspischen Meer. Es geht um das größte Infrastrukturprojekt Europas, um eine gigantische Pipeline von Baku bis Wien, die EU aus der Geiselhaft des Riesen Gazprom befreien soll, indem man an Russland vorbei Gas nach Westen führt.

Nach dem berühmten Gefangenenchor aus der Verdi-Oper „Nabucco“ erhielt das Projekt seinen Namen, doch jetzt steht de facto fest, dass die Befreiung aus russischer Haft misslungen ist. Nabucco hatte seit Jahren geschwächelt, einmal weil die Pipeline sehr teuer ist, vor allem aber weil nie ganz klar war, wie sie eigentlich gefüllt werden soll.

Einzig Aserbaidschan schien bereit, einen Teil der Kapazität zu stellen, doch von Turkmenistan, von wo der Hauptanteil kommen sollte, gab es nie eine verbindliche Zusage. Das hatte Russland mit einer Mischung aus Drohungen und Anreizen für den turkmenischen Autokraten Berdymuchammedow zu verhindern gewusst.

Jetzt hat ausgerechnet der britische Konzern BP Nabucco den Todesstoß versetzt. BP führt das Konsortium an, das das größte aserbaidschanische Gasfeld „Shah Deniz“, von dem der größte Beitrag kommen sollte, ausbeuten sollte. Jetzt hat BP klargemacht, dass die Pipeline keine Option mehr ist: Nabucco wäre für die zur Verfügung stehende Gasmenge viel zu groß.

Die Entscheidung für den Bau liegt zwar immer noch in Brüssel und bei den Hauptanteilseignern, der deutschen RWE und der österreichischen OMV. Doch ohne Zusagen von Lieferanten braucht man keine Pipeline zu bauen. Statt weiter auf den Gefangenenchor zu lauschen, sollten die deutschen Verantwortlichen sich jetzt ernsthaft auf den Ausbau der alternativen Energien konzentrieren.

Wirtschaft + Umwelt SEITE 7