DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Geist willig, Börse schwach
WAS SAGT UNS DAS? Die Griechen sollten endlich mal ihre Steuern zahlen, sagte IWF-Chefin Lagarde in einem Interview. Die reagieren auf die Äußerung mit Unverständnis
Ein Schlag ins Gesicht ist es für die Griechen, wenn ausgerechnet Christine Lagarde ihnen die Leviten liest. Galt doch die ehemalige französische Finanzministerin bislang als eine „Philhellenin“, eine Person, die sich geistig mit Griechenland verbunden fühlt.
Ihr Geist mag weiterhin willig sein, doch ihr Portemonnaie wird zunehmend schwach. Die Griechen müssten endlich Steuern bezahlen, monierte Lagarde in einem Interview; sie denke mehr an die notleidenden Kinder im afrikanischen Niger als an die Menschen in Athen. Daraufhin überschwemmten über zehntausend Griechen Lagardes Facebook-Seite und hinterließen deftige Kommentare. Die Tageszeitung Eleftheros Typos macht sich lustig über „Frau Solarium“. Lagarde habe die Griechen beleidigt, so Sozialistenchef Venizelos, während der konservative Parteisprecher Jannis Michelakis sagt: „Ich verstehe nicht, was das soll, ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt.“ Damit bringt er wieder mal die große Verschwörungstheorie ins Spiel: Ausgerechnet jetzt, wo Konservative und Linke sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Macht liefern, mischen sich die Oberschlauen aus dem Ausland ein, um angeblich der Linken zu helfen und so einen Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone zu provozieren.
Darf sich die Dame mit einem Jahresgehalt von 500.000 Euro abfällig äußern über griechische Rentner mit einem Monatseinkommen von 500 Euro? Bestimmt nicht. Aber sie darf als IWF-Chefin auf eine bittere Realität hinweisen: Hunderttausende Griechen zahlen kaum Steuern, vor allem Reiche. Irgendwann muss die IWF-Chefin auch über die Reeder und Großindustriellen sprechen, die ganz legal ihre Steuerpflicht auf null schalten und deswegen vom IWF nicht bedrängt werden.
JANNIS PAPADIMITRIOU