Rüttgers gräbt‘s Land um

Heute will sich Jürgen Rüttgers zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Doch die Besetzung der Ministerämter bleibt weiter offen. Sucht Rüttgers die Nadel im Heuhaufen? Nein. Der CDU-Chef fürchtet die Rache übergangener Abgeordneter

VON ANDREAS WYPUTTA

Jürgen Rüttgers könnte selbstsicher, souverän, locker auftreten. Der 53-jährige Christdemokrat, der sich heute um 11 Uhr mit der satten Mehrheit seiner 101-köpfigen Regierungskoalition aus CDU und FDP zum Ministerpräsidenten wählen lassen will, beendet eine Ära: Erstmals seit 39 Jahren geht die SPD in Nordrhein-Westfalen in die Opposition, in der sich auch die Grünen nach zehnjähriger Regierungszeit wiederfinden.

Wirklich souverän wirkt Rüttgers jedoch nicht. Noch immer hat der Ex-Zukunftsminister der Bundesregierung Kohl kein vollständiges Kabinett vorgestellt, noch immer rätseln auch die Abgeordneten von CDU und FDP, welche Ministerinnen und Minister der Mann, den sie heute zum Regierungschef machen sollen, ernennen wird. „Das Kabinett wird am Donnerstag vorgestellt“ – nur so viel dringt aus der Pressestelle der CDU-Landtagsfraktion. Gegen eine gleichzeitige Vereidigung der Ministerinnen und Minister gebe es „verfassungsrechtliche, formelle Vorbehalte“, so die offizielle Begründung.

Im Landtag dagegen kursiert eine andere Version: Rüttgers habe die Vorstellung des Kabinetts verschoben, weil er die die Rache der eigenen Parlamentarier fürchte. Einzelne Abgeordnete, die sich bei der Regierungsbildung übergangen fühlten, könnten gegen den neuen Ministerpräsidenten stimmen – dem CDU-Chef droht dann zwar kein Debakel wie Schleswig-Holsteins ehemaliger SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis, wohl aber ein unschöner Einstieg. „Das Kabinett könnte auch direkt nach der Wahl des Ministerpräsidenten vereidigt werden“, bestätigt Landtagssprecherin Stephanie Hajdamowicz.

Bisher jedenfalls scheint die CDU-Landtagsfraktion im zukünftigen Kabinett Rüttgers deutlich unterrepräsentiert. Von den vorab nominierten Ressortchefs gehört nur Finanzminister Helmut Linssen zum Kreis der CDU-Parlamentarier. Christa Thoben (Wirtschaft) und Karl-Josef Laumann (Arbeit und Soziales) scheiterten bei der Direktwahl und konnten wegen des guten CDU-Ergebnisses nicht über die Landesliste vorrücken. Am Donnerstag könnte Rüttgers nachbessern: Die niederrheinische Landtagsabgeordnete Marie-Luise Fasse wird als mögliche Chefin des neu zu schaffende Generationen-Ressort – also Familie, Jugend und Senioren – gehandelt, der Werler Parlamentarier Eckhard Uhlenberg gilt als Minister für Landwirtschaft und Umwelt als gesetzt. Nicht verzichten will Rüttgers auch auf den bisherigen parlamentarischen Fraktionsgeschäftsführer Helmut Stahl: Der Ex-Staatssekretär des Ex-Zukunftsministers könnte Staatskanzleichef werden, ist in Düsseldorf zu hören.

Nicht der CDU-Fraktion angehören werden dagegen der unvermeidliche Oliver Wittke – Gelsenkirchens nach nur fünf Jahren gescheiterter Ex-Oberbürgermeister verpasste zwar wie Thoben und Laumann den Sprung ins Landesparlament, könnte sich aber auf den Posten des Bau- und Verkehrsministers retten. Auf die zweite und dritte Reihe dürfte Rüttgers auch bei der Besetzung des Justiz- und des künftig in der Staatskanzlei angesiedelten Kulturressorts zurückgreifen. Gehandelt werden der ehrenamtliche Paderborner Bürgermeister Hans Paus und Düsseldorfs Kulturdezernent Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff. Vier Fraktionsmitgliedern stünden also vier Quereinsteiger gegenüber.

Die geringe Frauenquote von nur zwei Ministerinnen zeigt Rüttgers‘ zweites Problem: Namen mit bundespolitischer Strahlkraft finden sich in seinem Schattenkabinett nicht. Die Bundesprominenz schielt auf die Neuwahlen im September, will sich nicht in Düsseldorf verschleißen lassen. Nur Karl-Josef Laumann konnte der neue CDU-Ministerpräsident als Ersatz für den über die RWE-Gehaltsaffäre gestürzten Hermann-Josef Arentz aus Berlin abwerben – im Januar, als das Simonis-Debakel oder Neuwahlen nicht in Sicht waren.

Glücklich scheint da Rüttgers kleiner Koalitionspartner FDP: Die Liberalen haben den Kampf um Posten und Pöstchen schon hinter sich. Der bisherige Fraktionschef Ingo Wolf wird sich als Innenminister seinem Lieblingsprojekt Bürokratieabbau widmen – und Parteichef und Chaosforscher Andreas Pinkwart wird Chef des neuen „Innovationsministeriums.“

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