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Archiv-Artikel

Haus- und Hoffilmer im Sportdress

Sönke Wortmann, Regisseur des Kassenschlagers „Das Wunder von Bern“, will endgültig Deutschlands Fußballfilmer Nummer eins werden und die Klinsmänner auf dem Weg zum Wunder von Berlin mit der Handkamera einfangen

NÜRNBERG taz ■ Sönke Wortmann strebt ins Freie. Er schwitzt ein wenig. Im Keller des Hotels der Deutschen in Herzogenaurach hat er an seiner Fitness gearbeitet. Draußen wartet die Presse. Sie will etwas über seine Beobachtung der bewegten Männer wissen. Wortmann filmt sie alle ab, die Wadeln, die die Welt bedeuten. Das ist ein Privileg. Ein Traumjob für jeden Dokumentarfilmer. Wortmann ist kein Dokfilmer. Noch nicht. Er will einen Film drehen, der sich in das Gedächtnis der Nation brennt, der ins Archiv sinnstiftender Mythen kommt. So wie es mit dem Streifen „Les Yeux dans les Bleus“ geschehen ist. Die französische Auswahl wurde auf ihrem Weg zum WM-Titel 1998 von einer intimen Kamera begleitet. Es entstand ein emotionales Porträt des Weltmeisters. „Das wollte ich auch machen“, sagt Wortmann.

Wortmann muss nah heran, um die Spiele mit den Weiß-Schwarzen in gleicher Qualität auf die Leinwand zu bringen, sehr nah. Er weiß, dass er nicht die journalistische Distanz zum filmischen Objekt wahren kann. Er muss den Profis auf den Leib rücken. Wortmann tut das unaufgeregt. Als das Projekt am 30. Mai anlief, hat er ein paar Entscheidungen getroffen, die es ihm erleichtern sollen, das Vertrauen der Spieler zu gewinnen. Erstens: Wortmann zieht sich so an wie die Nationalspieler. „Ich bin einer von euch“, soll das heißen. Zweitens: Er ist allein in Klinsis Kickerei gekommen, ohne Tonspezialist, ohne Kameramann. Nur eine Handkamera hat er dabei. Die rudimentäre Ausrüstung soll den Spielern die Angst vor dem Rotlicht, vor dem Blick nehmen. Die Kamera, das ist die Sehnsucht des Filmers, soll aus dem Bewusstsein der Spieler verschwinden und so selbstverständlich da sein wie der Ball beim Training. Und drittens: Der ehemalige Mittelfeldspieler der SpVgg Erkenschwick geriert sich als Fußballer, formuliert seine Dienstreise um in ein Trainingslager, kickt mit und verkündet, dass er schon vier, fünf Kilo verloren habe. „Das Umfeld hat mich ein bisschen melancholisch gemacht, allein schon wieder zu erleben, wie es in einer Kabine riecht und zugeht.“

180 Minuten hat Wortmann bis jetzt gedreht. „Es ist ja nicht so, dass ich das Material brauche. Das ist direkt für die Schublade. Die Spieler sollen sich nur an meine Arbeit gewöhnen“, sagt Sönke Wortmann. Alles, was in diesen Tagen passiert, wertet Wortmann als vertrauensstiftende Maßnahme. Im Herbst wird über die Fortsetzung des Projekts entschieden. Angetragen wurde es ihm vom Manager der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff. Der hat nichts Geringeres vor, als Images für jeden einzelnen Spieler zu entwickeln. Auch von „Persönlichkeitsentwicklung“ schwadroniert er gern. „Wir leben von der Öffentlichkeit, deshalb müssen wir sie bedienen“, so lautet das Credo des Managers.

Dem dreimaligen Gewinner des deutschen Filmpreises kommt in diesem Szenario des Informationsverkaufs, inklusive „Get Together“ und „Media Day“, die Rolle des Haus- und Hoffilmers zu. Klinsmanns Kreis mag sektiererisch sein, frei von Eitelkeit ist er nicht. Sollten sie tatsächlich im eigenen Land Weltmeister werden, dann muss es natürlich Bilder aus der Schaltzentrale der Macht geben, gefilterte Einblicke ins Alltagsleben eines Per Mertesacker und Oliver Kahn, dies alles begleitet von der Frage der Fragen: Wie konnten sie es schaffen, das Unmögliche möglich zu machen? An diesem Punkt wird die Neugier national, hier dürfen alle einmal Voyeur spielen. Wortmann sagt: „Bierhoff kam auf mich zu, weil er die Idee hatte, dass man das dokumentieren sollte.“

Wortmann muss sich ob seiner Aufnahme in den Inner Circle als „Staatsfilmer“ oder als „Leni Riefenstahl des DFB“ bezeichnen lassen. Doch das kümmert ihn wenig. „Künstlerisch nehme ich das als großes Kompliment auf“, erwidert er, „sie war ja eine großartige Filmemacherin.“ Sein Projekt trägt den bescheidenen Titel „Das Wunder von Berlin“, in Anlehnung an seinen erfolgreichsten Film, die WM-Saga „Das Wunder von Bern“, die ein Millionenpublikum konsumierte. Parallel zu seinen Erkundungen im Lager des DFB plant Wortmann eine siebenteilige Fußballserie für Sat.1. Derzeit arbeitet er am Drehbuch. Die Folgen sollen vor der WM 2006 ausgestrahlt werden. Wann Wortmanns Wunder über den Sender geht, weiß der 45-Jährige noch nicht. Sollten die Deutschen vorm Halbfinale scheitern, sieht er keine Chance mehr für den Film. „Die Leute würden sich nicht mehr dafür interessieren, aus einem tiefen Schmerz heraus“, glaubt er. Das ist bestimmt ein Irrtum. Bei einem in Tränen aufgelösten Oliver Kahn bliebe auch beim Zuschauer kein Auge trocken.

MARKUS VÖLKER