berliner szenen: Alles Banane, alles Kunst
Neben mir im dritten Stock ist ein neuer Nachbar eingezogen. An seiner Tür steht Kenya. In neonfarbenen Großbuchstaben. Sonst nichts. Als wäre der Name ein Pseudonym wie Lady Gaga oder Sido. Aber vielleicht ist er das auch. Im Norden Neuköllns weiß ich nie, welches Idol seinen Abfall gerade in die falsche Tonne wirft, wenn ich rein zufällig aus dem Fenster schaue.
Womit wir beim Thema wären. Kenya findet das Ritual der deutschen Mülltrennung wahnsinnig faszinierend. In dem Land, wo er geboren wurde, wird das Essen nicht in Müll eingewickelt, erzählte er, während ich im Hof sein Fahrrad reparierte. Man kauft das Essen frisch auf einem Markt und isst es auf. Vielleicht tut er sich deshalb so schwer mit der Praxis hier. Seine bunten Müllbeutel wirft er nämlich nicht in die jeweilige Tonne, er legt sie daneben. Außerdem ist jeder Beutel mit einem bunten DIN-A5-Zettel bestückt. Nicht selten bleiben die Beutel liegen, denn die wenigsten Müllwerker beachten die Zettel, auf denen zu lesen steht, was in den Beuteln drin ist und warum sich Kenya davon trennen musste. Das sollte ich ihm als guter Nachbar einmal klarmachen. Andererseits will ich seine persönliche Freiheit nicht einschränken.
Als ich ihn neulich am Nachmittag dennoch bat, er möge seine Musik, die basslastig durchs Haus schallte, bitte etwas dezenter tunen, weil ich zu arbeiten hätte, zeigte er sich äußerst respektvoll, änderte aber nichts an der Lautstärke. Gestern dann bat er mich herein. Und ich erfuhr, warum. Kenya ist ein Homeworker wie ich. Mitten in der Wohnung stand eine riesige Banane aus Plastikmüll, auf der zahllose Fotos seiner bunten Müllbeutel geklebt waren. Auf manchen der Fotos bin ich zu sehen, wie ich verstört seine Zettel lese. Ob ich nun auch berühmt werde?
Henning Brüns
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