: Ein Apfel namens Berlin
Der Südschleswigsche Wählerverband entscheidet sich dagegen, bei der Bundestagswahl anzutreten
Mittsommer, Feierwetter, einige waren zu Grillfesten eingeladen. Und dennoch kamen am Dienstagabend immerhin 104 von 155 Delegierten der Minderheitsvertretung der Dänen und Friesen in den Saal des Flensborg Hus zum Sonderparteitag des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW). Sie mussten entscheiden, ob ihre Partei bei der Bundestagswahl im Herbst antritt – das erste Mal seit 1961.
Eine Delegierte schenkte dem Vorstand ein Glas Lakritze: So bunt gemischt wie die Bonbons möge der SSW sein, wünscht sie. Dann wird diskutiert, natürlich auf Dänisch. Einige Redner schieben deutsche Halbsätze ein, etwa Vorstandsmitglied Jan Hundsdörfer: „Ich weiß nicht, wie ein Apfel schmeckt, wenn ich nicht reingebissen habe.“ Der Apfel ist die Bundespolitik, Hundsdörfer gehört zu den Befürwortern einer Kandidatur, vielleicht würde er selbst gern nach Berlin. Da ließe sich einiges bewegen, selbst wenn nur ein SSWler einen Sitz ergattert: „Da kann man sofort den Finger in die Wunde legen.“ Schließlich saß auch Karl-Otto Meyer, der Grand old man der Partei, allein im Kieler Landtag.
Auch Landtagsabgeordneter Lars Harms ist für den Gang nach Berlin. Immerhin sei das Ergebnis der vergangenen Landtagswahl das zweitbeste in 40 Jahren gewesen: „Wir haben eine Chance, und die müssen wir ergreifen, zum Wohl der dänischen Minderheit, der Friesen und der Region“, sagt Harms.
Aber die Gegenstimmen überwiegen: Parteichefin Gerda Eichhorn, Landtagsabgeordnete Anke Spoorendonk und ihre ehemalige Kollegin Silke Hinrichs haben Bedenken: Die Zeit ist zu kurz, es fehlt an einem Kandidaten, an Geld, an Kraft, selbst an Themen. Zu vielen bundespolitischen Fragen hat der SSW keine klaren Konzepte. Und wer sollte die noch erarbeiten, mitten in der Ferienzeit? „Der SSW ist zu schade, in Berlin Lobbyist zu sein, wo er in Schleswig-Holstein eine ernsthafte Partei ist“, erklärt Spoorendonk. Wichtiger als Berlin sei die Kommunalwahl, für die Wähler bedeutsamer, was die neue Landesregierung tut: In Eckernförde werden Kindergartenzuschüsse gekürzt – auf solche Fragen müsse der SSW seine Kraft richten.
Und überhaupt, Berlin. Silke Hinrichs, eine der möglichen Kandidatinnen, sagt, sie verstehe zwar alle, die am Wahlsonntag nicht wüssten, wo sie ihr Kreuz machen sollten. Aber dafür SSW-Power verheizen? Hinrichs: „Ich fordere alle auf, mit Nein zu stimmen.“ Die Pragmatiker setzten sich durch: 72 Delegierte sind dagegen, 34 dafür, zwei enthalten sich. Damit ist der Sommer gerettet, der SSW bleibt – jedenfalls bis zur nächsten Diskussion – eine Regionalpartei.
Esther Geißlinger