Nahkampf mit dem Büchergeld

Eine Woche vor Ferien gibt es immer noch keine brauchbare Härtefalllösung. Jede Schule fabriziert das eigene Chaos, manche schickt die gesamte Elternschaft zum Bücherkauf. Elternkammer moniert mangelnden Datenschutz

von Kaija Kutter

Der Elternrat des Gymnasiums Allee schmiss gestern kurzerhand die Notenpresse an: Ein Koffer voller 80-Euro-Scheine soll die Altonaer Eltern für die Lernmittelgebühr wappnen. „Unseren Eltern fällt es schwer, 80 Euro zu zahlen“, erklärt Elternrätin Meike Jensen. Rund 30 Prozent hätten ein Nettoeinkommen „kurz über Hartz IV-Niveau“.

Doch auch kurz vor den Ferien fehlt eine brauchbare Härtefallregelung beim Büchergeld. Eine Lücke, auf die die Opposition den Senat bereits am 8. März im Schulausschuss aufmerksam machte – ohne Erfolg. Weshalb der SPD-Schulpolitiker Gerhard Lein von einem „Nebel um die Härtefallregelung“ spricht und heute in der Bürgerschaft fragen will, warum die Schulen so schlecht informiert werden.

Wie berichtet, gab es als Reaktion auf einen taz-Artikel vor zwei Wochen erstmals in einem „Info-Brief 5“ den Hinweis, dass Schulleiter die Gebühr im Einzelfall erlassen könnten. Es fehlten aber Regeln und Kriterien. Laut gültigem „Leitfaden“ zur Gebührenordnung – von 1987 – dürften Schulleiter dies nur bis zu einer Summe von 10 Mark tun. Für Lein ein Zeichen, wie hier „mit heißer Nadel“ gestrickt wurde.

Seit Montag gibt es „Info-Brief 6“, der über „Härtefälle“ aber nur sagt, wer nicht gemeint ist: Witwen und Waisen zum Beispiel, Erziehungsurlauber und Wohngeldbezieher. Neu und brauchbar ist allenfalls der Hinweis, dass Familien, die den im Januar vom Bund eingeführten „Kinderzuschlag“ von 140 Euro erhalten, befreit werden. Traurig ist nur, dass diesen Zuschlag fast keiner bekommt. Laut Knut Börsen von der Arbeitsagentur, deren Familienkasse den Zuschlag bewilligt, haben ihn 10.000 Menschen beantragt – aber 90 Prozent nicht bekommen: Meist weil ihre Bedürftigkeit auch mit diesem Geld nicht behoben ist.

Lein ist Schulleiter und hatte dennoch den Fall einer Familie mit Kinderzuschlag auf dem Tisch. Den er aber ablehnte, weil die Juristen der Behörden-Hotline ihm erklärten, dies sei kein Befreiungsgrund.

Ähnlich chaotisch geht es bei der Erstellung der Bücherlisten in den Schulen zu, die die Eltern jetzt erhalten. „Jede Schule kocht ihr eigenes Süppchen“, berichtet Frank Ramlow vom „Komitee gegen Büchergeld“. Extremstes Beispiel: ein Wandsbeker Gymnasium, das 154 Euro verlangt.

Auch Elternkammerchef Holger Gisch hört täglich Berichte aus dem Nahkampf mit dem Büchergeld, und weiß von Mittelstufen, die den Eltern zu den erlaubten 80 Euro noch den Kauf teurer Atlanten und Wörterbücher abverlangen. Wenig beachtet würde auch der Datenschutz, weil Schulen Zettel verteilen, auf denen Eltern ihre Bedürftigkeit offen ankreuzen sollen.

Eine Unannehmlichkeit ganz anderer Art bekommen Eltern einer Rahlstedter Grundschule zu spüren: Sie sollen in jedem Fall, ob sie die Bücher kaufen oder mieten, zusätzlich vier Arbeitshefte anhand von ISB-Nummern im Laden kaufen, denn das Schulbüro weigert sich aus Überlastung, dies zu tun.

Die Schulen seien dazu auch nicht „verpflichtet“, erklärt Bildungsbehördensprecher Alexander Luckow, der darin auch einen Vorteil sieht. Sollten Eltern noch nie in einem Buchladen gewesen sein, könnten sie beim „Erstkontakt“ Lektüre für sich selbster finden.