: Pirat entert Stadtrat
ÜBERWACHUNG Bürgerentscheide, Aufkleber auf Kameras, WLAN für alle: Was der Pirat Marco Langenfeld in Münsters Politik will
■ Recht: Die Grünen wollen Datenschutzrechte im Grundgesetz verankern. Außerdem fordert die Partei einen Anspruch auf Schadensersatz bei Datenmissbrauch. Sie tritt auch für eine nicht näher ausgeführte Reform des Datenschutzrechts ein. Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz wird gefordert, aber ebenfalls nicht weiter erklärt. ■ Persönliche Daten: Der Handel mit persönlichen Daten soll beschränkt und der damit einhergehende Missbrauch bekämpft werden. Zu diesem Zweck sollen die Datenschutzbeauftragten mehr Personal bekommen. ■ Überwachung: Die Vorratsdatenspeicherung wird ebenso abgelehnt wie die heimliche Online-Durchsuchung von Festplatten. Die Partei bekennt sich ausdrücklich zu einem neutralen – also nicht von Politik und/oder Konzernen gesteuerten Internet.
AUS MÜNSTER ANDREAS WYPUTTA
NEU-RATSHERR LANGENFELD
Marco Langenfeld steht in der Fußgängerzone im westfälischen Münster, er macht dort Wahlkampf für die Piratenpartei. In Rekordzeit ist der 22-Jährige auf deren Ticket in den Stadtrat eingezogen: Langenfeld ist erst seit drei Monaten bei den Piraten – doch bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl reichten 1,55 Prozent der Stimmen für sein Amt als Ratsherr. „Ein bisschen mulmig“ sei ihm schon, hatte Langenfeld nach der Wahl zugegeben. Schließlich sind er und der Aachener Chemiestudent Thomas Gerger bundesweit die ersten gewählten Mandatsträger der Partei.
Hinter dem Wahlkampfstand der Piratenpartei in der Ludgeristraße wirkt Langenfeld lockerer. „Jetzt geht’s langsam“, sagt der Kfz-Mechatroniker. Schließlich wirkt der Auftritt seiner Partei professionell: Der orangefarbene Sonnenschirm der Piraten leuchtet in der Sonne. Mitglieder von Langenfelds Ortsgruppe, die bei der neuen Partei „Crew“ heißt, verteilen Flyer – und konkurrieren mit Sozialdemokraten, Liberalen und dem sehr alternativ wirkenden Einzelbewerber Harry Seemann um potenzielle WählerInnen. „Bei den Piraten kann man schnell etwas verändern“, glaubt Langenfeld, der im Herbst eine Fortbildung zum Kfz-Meister beginnt.
■ Recht: Die FDP will die vielen Regelungen zum Datenschutz in einem einzigen Datenschutzgesetzbuch zusammenfassen. Außerdem gehört für die Liberalen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ins Grundgesetz. ■ Persönliche Daten: Angaben von Arbeitnehmern sollen nur erhoben und verarbeitet werden, so weit das für das Arbeitsverhältnis notwendig ist – das gilt auch für gesundheitsbezogene Daten. Unternehmen sollen Melderegisterauskünfte zu Werbezwecken nur dann einholen dürfen, wenn die Betroffenen zuvor eingewilligt haben. Dass die Einwohnermeldeämter Daten an die Gebühreneinzugszentrale weitergeben, soll verboten werden. ■ Überwachung: Die FDP will Vorratsdatenspeicherung und heimliche Online-Durchsuchungen privater Rechner wieder abschaffen. Das Erheben und Speichern von Fluggastdaten lehnt die Partei ab.
Was er verändern will? „Freifunk“, also freien Zugang zum Internet für alle, sprudelt der jungenhaft wirkenden Mann, der noch bei seinen Eltern wohnt. Die Piraten gelten als Partei der „Digital Natives“, der intensiven Internetnutzer. Alle privaten Besitzer von WLAN-Funknetzen sollten sich zusammenschließen und ihre Zugänge allen in der Stadt kostenlos zur Verfügung stellen, fordert Langenfeld. Berliner Parteifreunde hätten ihn auf diese Idee gebracht. Vor Tagen noch hatte er ein offenes WLAN-Netz für Münster als „zu teuer“ abgelehnt. Entgegen aller Klischees sei er eben kein Computernerd, beteuert der Parteipirat: „Ich bin kein PC-Freak, kann keine einzige Computersprache.“
■ Recht: Wie die Grünen wollen auch die Linken „das Ausspionieren von Beschäftigten beenden“ und dafür ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz schaffen. Das Datenschutzrecht soll reformiert und modernisiert werden. Wie das aussehen soll, bleibt unklar. ■ Persönliche Daten: Von Datenschützern und Bürgerrechtlern heftig kritisierte Projekte wie Gesundheitskarte, biometrische Ausweise, elektronische Identitätskarten und einheitlicher Steuernummer sollen noch einmal geprüft und „nach strengen datenschutzrechtlichen Kriterien“ korrigiert werden. ■ Überwachung: Auch die Linken wollen Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchungen abschaffen. Weiterhin fordert die Partei einen Verzicht auf Zensurmaßnahmen im Internet und will das Verwenden verdeckter Ermittlungsmethoden wie „Video-, Späh- und Lauschangriffe und Rasterfahndung“ zurückfahren.
Im Rat wolle er für mehr direkte Demokratie durch Bürgerentscheide streiten, sagt Langenfeld. Entscheidungen der Verwaltung sollen durch mehr Informationsrechte für die BürgerInnen transparenter werden, und die Verwaltungskosten sollen durch den Einsatz frei lizensierter Software wie „Open Office“ sinken. Top-Thema des künftigen Ratsherren aber bleibt die Überwachung. Gern zeigt Langenfeld auf die Videokameras, die das Picasso-Museum sicherer machen sollen und dabei wie die Überwachungsanlage des benachbarten Parkhauses Bürgersteig und Königsstraße gleich mitfilmen. „An den Kameramast gehört wenigstens ein Aufkleber, der die Leute vor dieser Beschattung warnt“, findet Langenfeld. „Da muss dann auch eine Telefonnummer drauf, wo die Bürger sich erkundigen können, warum sie gefilmt wurden – und wann die Daten wieder gelöscht werden.“
■ Recht: CDU/CSU wollen einen „umfassenden Datenschutz“. Zugleich soll Datenschutz „nicht zum Täterschutz werden“. ■ Persönliche Daten: CDU und CSU treten für „Datenschutz mit Augenmaß“ ein. Darunter verstehen sie den Schutz vor illegalen Kontoabbuchungen, dem Diebstahl von Daten und dem Schwarzhandel damit. Ansonsten wollen beide Parteien, dass keine unnötigen Datenmengen gespeichert werden – von wem bleibt unklar.■ Überwachung: Die Union setzt gegen Kriminalität auf „präventive Stadtgestaltung“, also verstärkten Einsatz von Videokameras und besserer Beleuchtung an allen öffentlichen Plätzen. Zudem will die Partei die „Aktivitäten im Kampf gegen Internet-Kriminalität“ stärker bündeln. Die Sicherheitsbehörden seien dafür zu verstärken.
■ Recht: Die SPD tritt ebenfalls für ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ein. Mehr steht im Wahlprogramm nicht, aber Arbeitsminister Olaf Scholz hat Anfang September einen Gesetzentwurf vorgelegt. ■ Persönliche Daten: Bei Bewerbungsgesprächen sollen Fragen nach dem Gesundheitszustand eines Bewerbers verboten werden. Persönlichkeitsprofile dürften in Firmen nicht mehr erstellt werden. Ist die private Nutzung der dienstlichen Telefone und PCs im Arbeitsvertrag verankert, soll der Arbeitgeber keine privaten Daten mehr erheben dürfen. Für die Betroffenen soll es einen Anspruch auf Schadensersatz geben. ■ Überwachung: Die SPD sagt, sie wolle keinen „Präventionsstaat, der auf der Suche nach Gefahrenquellen auch die Daten Unbeteiligter vorbeugend sammelt.“
Wie der ebenfalls in Münster lebende Bundesvorsitzende der Piraten, Jens Seipenbusch, fordert Langenfeld ein kommunales Datenschutzbüro, sorgt sich um die Privatisierung des öffentlichen Raums etwa durch Einkaufspassagen wie die „Arcarden“ mitten in der Innenstadt. Die Ausstattung der Bücher der Stadtbibliothek mit sogenannten RFID-Chips will er ebenso verhindern wie die Einführung digitaler Stromzähler durch die Stadtwerke: Schließlich könnten so Dritte nachvollziehen, wer was lese und – über den minutengenauen Stromverbrauch – wer wann welches Elektrogerät einschalte, also wie lebe.
Die Computerausstattung von Schulen ist für Langenfeld noch kein Thema. Dabei klagen die Informatiker unter Münsters Lehrern über langsame Datenverbindungen. „Erst muss ich wissen, wie die Schulen ausgestattet sind“, sagt Langenfeld. Der Ratsherr sei wie alle Mitglieder neu in der Politik, müsse sich erst mal in Geschäftsordnung und Antragswesen einarbeiten, sagt Parteichef Seipenbusch schnell.
Die Serie „Politik nebenan“ erscheint bis zur Bundestagswahl jeweils Montag und Donnerstag. Sie erklärt, wie Politik Menschen im Alltag betrifft – und was die Parteien wollen.