: Die Fair Lady aus Kreuzberg
Fatma Souad ist die Chefin des „Salon Oriental“ und Frontfrau des Kreuzberger CSD, der dieses Jahr zum letzten Mal stattfinden wird. Dass sich ihre eigene Geschichte als die einer fortwährenden Verwechslung liest, ist eine ganz andere Geschichte
VON WALTRAUD SCHWAB
Fatma Souad hat viele Möglichkeiten: Als „Kanake, Bastard und Transe“ bereichert sie diese Stadt. „Nenne mich Kabatra“, meint sie. „Abrakadabra“, schallt es als Echo zurück. Wie der Froschkönig nämlich ist auch Fatma verzaubert worden. Sie ist eine deutsche Frau im Körper eines türkischen Mannes. „Ich bin eindeutig zweideutig. Im Dazwischen, da möchte ich existieren.“ Bevor sie Fatma wurde, war sie Honka. Und vor Honka, da war er Toni und Hakan. Namen hat sie gewechselt wie Identitäten.
Wenn’s richtig kalt ist, bindet sich Fatma – wie viele Musliminnen in Berlin – ein Kopftuch um und schlendert damit über den Markt am Maybachufer in Kreuzberg. Ihr kräftiges Gesicht, ihr starker Bartwuchs, der selbst in rasiertem Zustand einen Schatten um das Kinn wirft, wollen nicht dazu passen. Sie sieht noch immer wie ein Türke aus. Trotzdem: „Mit Kopftuch werde ich weniger angepöbelt“, sagt sie. Stattdessen wird sie angestarrt. Vor allem von Männern. Für eine Sekunde zeigt sich auf deren Gesichtern, dass sie meinen, gleich zweimal hintergangen worden zu sein. Fatma kommt nicht als Tussi daher, sondern als Hausfrau, und zu haben ist sie für die so oder so nicht.
Nach dem Marktbesuch erholt sich Fatma in der Ankerklause an der Kottbusser Brücke. Ohne Kopftuch kommen ihre schwarz geschminkten Augen und die goldenen Lippen erst richtig zur Geltung. Sie schaut über den Landwehrkanal auf die Häuser am gegenüber liegenden Ufer. Plötzlich entdeckt sie eine Gläubige, die unter einer Trauerweide ihre Gebete verrichtet. Kniend verbeugt sich die Frau in südöstliche Richtung. Später auf der Brücke wird sie Fatma anhalten, Schmuckstücke aus der Tasche ziehen und sie ihr anbieten. „Meine Tochter“, wird sie sagen. Sie weiß, dass Fatma kitschige Halsketten und Broschen liebt. Die braucht sie für ihre Shows. Fatma nämlich ist – ganz im Trend der Zeit – eine Salonière. Im SO 36, dem legendären Club in der Oranienstraße, der als Treff für Punk, Hausbesetzung, Kanak Attak und Kiez-Bingo echte Geschichte aufweisen kann, veranstaltet sie schon seit Mitte der 90er-Jahre ihren „Salon Oriental“, der sich als orientalische Disko „Gayhane“ etabliert hat. Gayhane ist ein brillantes englisch-türkisches Wortspiel aus Souads Feder. „Hane“ heißt Haus. Meyhane – Haus, in dem sich Menschen treffen. „Gay“ wiederum steht für „homosexuell“. Gayhane: das Haus, wo Homosexuelle sich treffen.
Bei Events im Kreuzberger Club stampfen Fatma und ihre „Schwestern“ zuweilen mit viel Klamauk und Klimbim eine Show aus dem Boden, deren tieferer Sinn die Kritik am kulturellen Chauvinismus ist. Feinsinnige Verballhornungen deutscher oder türkischer Gepflogenheiten stehen dabei auf dem Programm: Männlichkeitswahn und untergegangene Familienehre, Abschiebetourismus und bürokratischer Irrsinn, alltägliche Zweifel und schöner Schein. Bittere Wahrheiten zumeist, als Slapstick mit Honig versüßt.
Fatmas Dilemma: Sie hat Visionen von einer besseren Welt. Ihre Sehnsucht gilt der Schwesterlichkeit. Leider passen Visionen nicht ins Showgeschäft. Noch nicht mal im Underground. Denn um selbst im besseren Licht zu stehen, um Schneewittchen unter den Tunten zu sein, werden schon mal mit einer Zigarette Löcher in das Gewand der Rivalin gebrannt. Sagen, was Sache ist, dass Neid, Ausgrenzung, Frauenverachtung, Konkurrenzsucht keine Fremdwörter sind, so was geht in der Szene nur, wenn es im Klamauk untergeht.
Zu fünft hat Fatmas Truppe, die damals noch Honkas Truppe war, angefangen. Nach und nach sind ihr die Schwestern abhanden gekommen. Vor kurzem ist auch Sabuha Salam, der „verlassene Frieden“, gegangen. Zurückgeblieben ist: Edeltraut Plörrenhöfer. Vorurteilsbehaftet und überhaupt nicht lernfähig, ist sie die Quotendeutsche. Weil Identität eine fließende Angelegenheit ist, keine mit unendlicher Haltbarkeit, nennt sie sich nun „Ingoe.deltraut“. Fatma Souad dagegen ist die „gehörnte Leitkuh“. Sie muss den Salon am Laufen halten. Mit 40 Jahren ist sie die Älteste, „auch die Gesichtsälteste“ des ganzen Programms. „Auf Dauer ist es nicht wirklich spannend, fortwährend in Klischees von weiblich und männlich zu machen. Ständig einen Kessel Buntes anbieten ist nur eine andere Art des Sterbens.“ Das will sie nicht. Fatma ist in einer melancholischen Phase. Ob es mit den Wechseljahren zusammenhängt? „Wir sind doch immer in den Verwechseljahren.“
Fatma will mehr als Eitelkeit und sich „als Botschafterin des schlechten Geschmackes selbst toppen“. Sie will authentische Kunst. Und das, obwohl in ihr immer drei aktiv sind: ein Ich, eine Sie, ein Er. Der gelernte Damenschneider hat sich als Pygmalion selbst zur Fair Lady gemacht. Die größte Herausforderung: als solche im Alltag – nicht nur auf der Bühne – zu bestehen.
Anders als früher verlässt Fatma deshalb öfter ihre Bühnenrolle und spricht über sich, ohne sich mit Klamauk vor der Wirklichkeit zu schützen: Sicher, für einen transidentischen Menschen sei manches leichter geworden in Berlin. Auf Schritt und Tritt müsse man sich nicht mehr erklären. Das Interesse an den Erkenntnissen, die jemand hat, dem die Gunst des Mannes winkt, der aber die Würde der Frau haben möchte, sei indes gering. Fatma weiß aus Erfahrung: Frauen sind in der Gesellschaft schlechter dran. Warum er als Er sich nach unten – zu den Frauen hin – orientiere, wurde er schon gefragt. „Für mich ist oben und unten nicht da, wo es für dich ist“, ist ihre Antwort. „Ein Mann, der Frau ist, ist für die Männer ein Verräter.“
Früher ist Fatma Souad, damals noch Honka, als homoerotisches Bauchtanzwunder durch die Bars getingelt. Lernen musste er das nicht, es ist ihm zugeflogen. Sein Entree in die Tanzwelt hatte er mit 25. Damals nämlich traf er seinen Vater zum ersten Mal nach langer Abwesenheit in der Türkei wieder. Seine deutsche Mutter hatte sich von dem Vater scheiden lassen, als Honka, der damals noch Hakan genannt wurde, drei Jahre alt war, und zog mit ihren Kindern zurück nach Deutschland.
Der Besuch beim Vater endete in einer ausladenden Feier mit viel Essen, Musik, Tanz und einem Eklat. Als Honka seine Tanten ihre Körper verführerisch schütteln sah, reihte er sich ein. Entsetzt wandten sich die männlichen Familienmitglieder ab. Man nahm den Sohn beiseite und erklärte ihm die tragende Rolle des Mannes beim Tanz: mit ausgestreckten Armen die Finger schnippen. Hin und wieder ein rhythmisches Stampfen. Mehr nicht. Als Mann verwirke man niemals seine Autorität. Honka konnte damit nichts anfangen. Ist er doch Sohn, obwohl er lieber „Söhnin“ wäre, Mann, obwohl er sich „Männin“ nennt.
Das Modewort für Kultur, wie Fatma sie pflegt, heißt „hybrid“. Hybriden entstehen auf dem, was schon da ist, obwohl sie sich davon unterscheiden. Der Medienwelt, in der das Neue gern als Rahm abgeschöpft und dem staunenden Publikum serviert wird, entgeht so was nicht. Wie zum Beweis wurde Fatma Souad 2001 mit ihrer damals noch dreiköpfigen Gruppe vom Goethe-Institut nach Hongkong eingeladen. Es war die höchste Auszeichnung, die die Truppe je erhielt. „Von Goethe allerdings habe ich in Hongkong nicht viel gemerkt“, meint Fatma. Obwohl sie sich damals als Männer „verkleidet“ hatten, wurden sie am Zoll stundenlang festgehalten. Vielleicht war es die etwas zu große Sonnenbrille von Fatma Souad, hinter der sie ihr Männergesicht versteckte, der etwas zu poppige Anzug, die gepiercten Ohren von Edeltraut Plörrenhöfer. „Wer hat euch eingeladen?“ „Das Goethe-Institut!“ „Nie gehört!“
Schwestern haben sie in der Metropole übrigens auch nicht getroffen. Aber immerhin konnten sie sich mit Fetischen eindecken: Computern, Rasierapparaten, Handys. Natürlich nur als Attrappen aus Pappe. Die nächste Show „After Hong Kong“ war nämlich wieder einmal die letzte. Alles ist in Flammen aufgegangen. „Damit der Salon Oriental danach wie Phönix aus der Asche neu aufsteigen kann.“
Als die Truppe zurückkam, war „Leitkultur“ das Modewort in Berlin. Deutsche Leitkultur. So ist es geblieben bis heute. Fatma Souad ist enttäuscht. Sie stellt sich darunter etwas mit Vorbildcharakter vor: Schwesterlichkeit. Solidarität. Das findet sie nicht. Aber wer weiß, vielleicht wird sie mit einer neuen Show dieses Rätsel endlich lösen. Mit Hauruck, Haudrauf und Stirbleicht. „Das Kasperletheater – eine echte Parallelgesellschaft übrigens – ist bis heute doch die deutsche Schule für Toleranz.“
Der leicht gekürzte Text ist dem Buch „Berlin ist eine Frau“ von Waltraud Schwab entnommen, das kürzlich im Jaron-Verlag, Berlin erschien