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Archiv-Artikel

Und der Knöchel war hin

Tommy Haas hat wieder einmal kein Glück gehabt in Wimbledon – schon vor seiner ersten Partie hat er sich verletzt. Statt auf den heiligen Rasen Tennis zu spielen, muss er erst einmal in die Reha

AUS WIMBLEDON DORIS HENKEL

Prallt der blöde Ball an der Rückseite des Platzes gegen das grüne Tuch und nicht gegen eine der schmalen Stangen, die dort zur Fixierung verlegt sind, passiert nichts. Rollt er den Bruchteil einer Sekunde früher auf Tommy Haas zu, schwebt der noch beim Aufschlag in der Luft. Rollt der Ball den Bruchteil einer Sekunde später heran, ist Haas längst auf dem rechten Bein gelandet. Unversehrt. Aber so ist das nun mal; In der Zeit eines Augenzwinkerns nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der Ball kam, Haas trat darauf, und der Knöchel war hin.

Was die Dimensionen des Schicksals betrifft, kennt sich Tommy Haas besser als die meisten seiner Freunde und Kollegen aus, und seit dem schweren Motorradunfall seiner Eltern vor drei Jahren geht er mit dem Wort nicht leichtfertig um. Aber als er am Abend nach dem höchst unglücklichen Unfall in der Einspielphase zum Spiel der ersten Runde auf Krücken das Krankenhaus verließ, da fragte er sich doch: warum immer wieder ich?

Einerseits fand er, die Diagnose der Ärzte – Bänderanriss im rechten Sprunggelenk, kein Abriss –, sei die erste positive Nachricht des Tages gewesen. Die massive, Furcht einflößende Schwellung des Knöchels gleich nach dem Fehltritt hatte Erinnerungen an ähnliche Bilder aus früheren Tagen wachgerufen; an den Bänderriss im rechten Knöchel vom Dezember 95 und im linken genau ein Jahr später. Aber das kleinere Übel war groß genug. Die Vorstellung, sich schon wieder mit Reha statt mit Training beschäftigen zu müssen, drückte ihm aufs Gemüt. „Ich weiß, ich muss froh sein, dass nicht mehr passiert ist“, sagt Haas, „aber im Moment interessiert mich das alles nicht.“

Zum ersten Mal seit Jahren war er mit einem guten Gefühl in Wimbledon angekommen, bestärkt und bestätigt in seiner Vorbereitung beim Rasenturnier in Halle, hatte sich schnell mit einer recht guten Auslosung angefreundet, mit einem unerfahrenen Gegner wie dem Serben Janko Tipsarevic in der ersten Runde. Aber noch bevor der erste Punkt gespielt werden konnte, war das Kartenhaus der neuen Hoffnungen in sich zusammengestürzt; dass er trotz des lädierten Fußes bis zur Aufgabe knapp 40 Minuten lang spielte, machte von Anfang an nicht viel Sinn, aber er wollte es wenigstens versucht haben.

Mehr Pech könne man nicht haben, meinte Haas am Abend geknickt, und das war ausnahmsweise keine Plattitüde. Nun wird er zwischen drei und vier Wochen Pause machen müssen, was an sich natürlich höchst unerfreulich ist. Aber zumindest fällt diese Pause in eine Zeit, in der er keine ganz großen Turniere versäumen wird. Wenn der Knöchel nach Wunsch heilt, dann könnte er bis zum Beginn der nordamerikanischen Hartplatz-Saison wieder auf den Beinen sein, und das nächste Grand-Slam-Turnier, die US Open in New York, beginnt ohnehin erst Ende August.

Auch Patrik Kühnen, Chef des deutschen Davis-Cup-Teams, wird die Genesung mit größter Aufmerksamkeit verfolgen. Schließlich steht Mitte September das Play-off-Spiel gegen die Tschechen in Liberec an, verbunden mit der Chance, endlich wieder in die Weltgruppe aufzusteigen. Was aber nun die bös gestörte Beziehung zwischen Tommy Haas und Wimbledon betrifft, so mag man zurzeit keine Vorhersage wagen. Wimbledon sei nie richtig gut zu ihm gewesen, klagte Haas. Dabei hatte er vor langer, langer Zeit, es war anno 98, einen Auftritt, der glauben machte, er habe an diesem Ort noch Größeres vor. Auf dem Centre Court besiegte er Andre Agassi, und die Leute waren begeistert. Aber schon im nächsten Spiel wurde er auf die Außenplätze geschickt und verlor dort im allgemeinen Gebrumm gegen einen langen Holländer namens van Lottum. Seitdem ist der Wurm drin.