KURZKRITIK: HENNING BLEYL ÜBER „SAUL“ IN VERDEN
: Leibhaftiges Lokalkolorit

Die letzte Hexenbeschwörung vor Ort ist 1.200 Jahre her. Insofern ist es durchaus verdienstvoll, wenn das Musikfest mit einer Aufführung von Händels „Saul“ im Verdener Dom an diese arg verschüttete Tradition anknüpft: Die Beschwörung der Hexe von Endor, eindrucksvoll vorgetragen durch den niederländischen Bariton Angus van Grevenbroek, hätte mit allen vergleichbaren Bemühungen im heidnischen Hain, seit 800 n. Chr. Domstandort, locker mithalten können.

Man muss es als Stärke des Festivals wahrnehmen, wie es seine musikalischen Highlights auf die Fläche verstreut und kongenial mit dem jeweiligen Genius Loci in Verbindung zu bringen weiß. Auch der berühmte Chor-Satz des Oratoriums, „Tausend Saul erschlug, aber Zehntausend David“, der im alten König Neid und Zorn auf seinen jugendlichen Konkurrenten entfacht, kann in Verden leibhaftiges Lokalkolorit beanspruchen: Nur wenige Hundert Meter vom Dom entfernt, am gegenüberliegenden Aller-Ufer, ließ Karl der Große 4.500 missionierungsresistente Sachsen über die Klinge springen.

Die Capella Amsterdam intoniert die folgenreiche David-Laudatio ebenso markant wie die anderen, oft kommentierenden Chorsätze des dreistündigen Werkes. Und die Akademie für alte Musik Berlin? Hat lebhaften Anteil an diesem Gesamtkunstwerk aus Zeit, Raum und Klang. Im Ernst: große Qualität.