Bei Pannen hilft kein Beten

DO IT YOURSELF Muss das moderne Fahrrad seltener oder häufiger repariert werden? Ohne Multi-Tool und vorherigen Werkstattbesuch sollten Radwanderer jedenfalls nicht starten

Clevere haben die Bedienungsanleitungen auf ihr Smartphone aufgespielt

VON GUNNAR FEHLAU

Pannenteufel? Ist das nicht so eine Sagengestalt aus der Frühzeit, als man noch in Knickerbockern und auf Drahteseln daherkam? Hat den die Fahrradindustrie nicht längst schon ausgetrieben? Keine Frage, Bikes mit Nabenschaltungen, Nabendynamos, LED-Beleuchtungen, „unplattbaren“ Reifen und hydraulischen Bremsen lassen dem Pannenteufel kaum noch eine Chance, bieten dem Defekt effektiv die Stirn. Was übrigens auch ganz ohne technischen Fortschritt möglich sein soll, etwa durch Gebrauch eines Fixies: An so einem Fahrrad ist nur das Allernötigste dran, also kann auch (fast) nichts kaputtgehen.

Radreisende allerdings brauchen ein bisschen mehr und könnten deshalb zu einem speziellen Reiserad greifen. Etwa zu dem vielfach ausgezeichneten „WorldTraveller 29“ von Koga, dem über 30 Jahre behutsam weiterentwickelten „Papalagi“ von MTB Cycletech oder zu Komfortsänften wie dem „Delite traveller“ von Riese und Müller. Alles Fahrräder, von denen man Freude, Erholung und Ertüchtigung erwarten kann und bestimmt nicht an Pannenärger denkt. Doch manchmal soll es ja einfach so losgehen. Ohne spezielles Rad, ohne viel Tamtam, vielleicht sogar ohne konkretes Ziel. In so einem Fall – aber nicht nur in diesem! – muss es heißen: Erst der Boxenstopp, dann das Vergnügen. Denn wenn ein Reifen altersschwach ist, dann wird er irgendwann den Dienst versagen. Wenn ein Schaltzug gesplissen ist, dann wird er früher oder später reißen. Nur weil die Radreise ansteht, werden sich weder Reifen noch Bowdenzug davon abhalten lassen. Also beginnt die Tour grundsätzlich im heimischen Radladen. Der kluge Reiseradler vereinbart rechtzeitig einen Termin, damit sein Rad in aller Ruhe und mit aller Kompetenz auf alle möglichen „Spaßbremsen“ untersucht werden kann: Sämtliche defektanfälligen, verschleißträchtigen und sicherheitsrelevanten Bauteile sind zu überprüfen, das komplette Rad ist in seiner Funktion zu checken. Und es sollte auch noch Zeit sein, mit dem renovierten Rad vor der eigentlichen Reise noch rund 50 Kilometer zu fahren. Monteure sind auch nur Menschen.

Sollte man unterwegs dann wider Erwarten doch dem Pannenteufel begegnen, könnte ein wenig Vorbereitung ausgesprochen hilfreich sein. Ihm davonfahren, ohne den Schutzengel zu überholen, darum geht’s. Und so gehört zum Gepäck unbedingt eine kleine Pumpe. Es darf auch eine der Mini-Standpumpen sein, die erleichtern die Arbeit ungemein. Nützlich auch der Adapter im Portemonnaie: Der macht aus dem Radventil mal schnell ein Autoventil und erlaubt es so, sich des kostenlosen Kompressors an der nächsten Tankstelle (vorsichtig!) zu bedienen. Ein bis zwei Ersatzschläuche in der Tasche ersparen das Flicken am Straßenrand: Mantel auf Splitter und dergleichen überprüfen, Ersatzschlauch rein. Abends im Hotel oder vor dem Zelt, Gläschen Rotwein in greifbarer Nähe, kann das Schlauchflicken dann ja nachgeholt werden. Und deshalb gehört auch stets ein Paket Flickzeug ins Gepäck. Aber aufgepasst: Der Glibber in der Tube heißt nicht Kleber, sondern ist Vulkanisierflüssigkeit, und die sollte – auch wenn die Tube noch ungeöffnet ist – alle zwei Jahre ausgetauscht werden.

Was dem Wanderer sein Schweizer Armeemesser ist, ist dem Radler sein Multi-Tool. Davon gibt es etwa so viele verschiedene Modelle und Hersteller wie Radler in Freiburg. Die richtige Wahl hängt vom eigenen Rad ab. Das Werkzeug sollte alle relevanten Schraubengrößen der verbauten Komponenten bedienen können. Vorsichtig: So nützlich die Bedienungsanleitungen des Fahrrades und der Bauteile für die Vorgehensweise bei Montage und Reparatur sind, so wenig kann man sich sicher sein, dass die Schriftstücke wirklich die exakten Schlüsselmaße angeben. Im Radladen einfach das Tool am eigenen Rad durchtesten. Was jedoch darf’s kosten? Mit 30 bis 70 Euro dürfte man auf der sicheren Seite sein – schließlich handelt es sich ja bei dem kleinen Ding um einen kompletten Werkzeugkasten im Hosentaschenformat. Gut, da wäre noch das Problem mit den zwei linken Händen. Das Tool: Hat so viele Funktionen, und etliche kriegt man möglicherweise nie in den Griff. Aber vielleicht hat der des Weges kommende Helfer damit überhaupt kein Problem. Der hat wahrscheinlich das notwendige Werkzeug weder in der Trikottasche noch in der Radtasche – aber eventuell Ahnung und handwerkliches Geschick.

Ganz clevere Radler haben die Bedienungsanleitungen der Bauteile und des Fahrradmodells als Datei auf ihr Smartphone aufgespielt: wiegt nichts und bringt viel. Die heutige Hightech bietet halt mehr Möglichkeiten denn je, den Pannenteufel zu ärgern. Aber dass es ihn noch gibt und er insofern gleich hinter der nächsten Biegung lauern könnte, damit muss nach wie vor gerechnet werden.