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Archiv-Artikel

Lyrikschmuggel

Auf dem Poesiefestival übersetzten Dichter ihre Kollegen. Dabei ging es weniger um Grammatik als um Klang

Aus der Lyrik-Lounge des Poesiefestivals dringt leise Musik nach draußen und liefert den Sound für internationale Plaudereien. In kleinen Gruppen sitzt man auf der Wiese vor dem HAU 2 und genießt die Abendsonne. Wenn die Auftaktveranstaltung des Festivals das Motto „Weltklang“ ausgegeben hat, dann kann man ihn schon vor Beginn der Abendveranstaltung klingen hören.

Um eine besondere Form des Übersetzens soll es heute gehen: um den Versschmuggel vom Deutschen ins Spanische und zurück. Zu zweit haben sich Dichter aus verschiedenen Kulturen zusammengesetzt, um jeweils die Gedichte des anderen in die eigene Sprache zu übertragen. Nun stellen sie gemeinsam ihre poetischen Neufassungen vor. Unterhaltsamer lässt sich Lyrik kaum denken. Als erstes der sechs Autorenpaare treten Harald Hartung und Antonio Gamoneda hinter die Lesepulte. Zwei große alte Herren der Poesie. Sie lesen wechselweise Original und Übertragung. Während Hartung in diskreter Ernsthaftigkeit seine deutsche Fassung vorträgt, schaut Gamoneda so skeptisch, als könnte er kaum glauben, dass es sich tatsächlich um die eigenen Werke handelt. Und als der Spanier dann selbst mit sonorer, in sanften Höhen brechender Stimme die Verse mehr singt als spricht, ahnt man, wie sonderbar es für ihn sein muss, seine Lyrik mit solcher Zurückhaltung gesprochen zu hören.

Kein Wunder also, dass sich Hartungs Gesicht mit einer leichten Röte färbt, als Gamoneda der spanischen Übersetzung der Gedichte eine ganz überraschende Dynamik verleiht. Ob die Übertragungen aus philologischer Sicht gelungen sind, wird heute Abend nicht entschieden. Das kann in einer Anthologie überprüft werden, die demnächst erscheint. Auf der Bühne geht es um etwas anderes. Die zum Teil sehr heterogenen Paarungen zeigen, dass Übersetzen kein strenger, der Grammatik und dem Wörterbuch gehorchender Vorgang ist. Es zählen der Klang, der Rhythmus und das Interpretieren, das zu immer neuen Variationen führt.

Dass es von hier nicht weit ist zur tänzerischen und musikalischen Umsetzung von Gedichten, wie sie das Programm des Poesiefestivals bestimmen, führen die Versschmuggler par excellence vor. In der Lyrik-Lounge zeigt eine Großleinwand die letzten Minuten des Spiels Griechenland gegen Mexiko. Es steht null zu null. Auf der Bühne hat man gerade dynamischere Duelle gesehen. WIEBKE POROMBKA

Termine unter www.poesiefestival.org