piwik no script img

Archiv-Artikel

Die urbane Hölle am Alex

taz-Serie „Rund um den Alex“ (Teil 3): Zwischen Alexanderplatz und Mollstraße erstreckt sich eine skurrile Mischung aus Polizeipräsidium, Parkhaus und Abrisshäusern. Und das wird auch so bleiben

VON UWE RADA

Als der Architekt Hans Kollhoff 1993 seine städtebaulichen Pläne für den Alexanderplatz vorlegte, war die Schublade schnell geöffnet: Zwölf Hochhäuser sollten rund um den Alex entstehen und damit ein Stück Manhattan, mithin New York implantieren. Zwar ist von den 150 Meter hohen Türmen noch keiner gebaut, doch New York, das gibt es heute schon am Alex, wenn auch nicht von seiner Schokoladenseite.

Die Schattenseite von New York, Alexanderplatz, erkundet man am besten von der Keibelstraße aus. Hier, im Blockinnern zwischen Alexanderplatz, Karl-Liebknecht-, Moll- und Otto-Braun-Straße befindet sich der Hinterhof des Alexanderplatzes, eine atemberaubende Mischung aus Müllcontainern, abgewirtschafteten Plattenbauten, einer in Betrieb befindlichen Parkplatzruine, dem ehemaligen Stasiknast und ein paar Abrisshäusern. Kein Wunder, dass Kollhoff seinen Planungsstift hier am dicksten aufgetragen hat.

Beginnen wir den Rundgang am Parkhaus Keibel- Ecke Wadzekstraße. Manchmal herrscht hier sogar Leben: Immer dann nämlich, wenn ein Location-Scout das ruinöse Gebäude einem Filmproduzenten andienen konnte. Gedreht wurde hier unter anderem ein Krimi mit Iris Berben, bei dem drei Autos in atemberaubendem Tempo durch die engen Auffahrten jagten. „Einsatz in Manhattan“, mitten in Berlin.

Einsatz der besonderen Art gab es lange Zeit auch im Haus gegenüber. Das 1931 von Philipp Schäfer errichtete Verwaltungsgebäude von Karstadt war in der Weimarer Republik einmal das größte Bürohaus Berlins. Zu DDR-Zeiten wurde es als Präsidium der Volkspolizei und als Untersuchungshaftanstalt I sowie als Stasi-Knast genutzt. Dafür wurde es eigens nach amerikanischem Vorbild umgebaut. „Um einen bis zum Glasdach reichenden Innenschacht liefen in sechs Etagen Gänge, von denen aus die Zellen begehbar waren“, erinnert sich ein ehemaliger Insasse.

Auch den heutigen Spiegel-Reporter Alexander Osang hatte es einmal dorthin verschlagen: „Im Herbst 1981 hat mich die Volkspolizei festgenommen, weil ich für einen Kumpel an einem Wolga, der auf dem Parkplatz vorm Reisebüro stand, vorspielte, wie Benny von der Olsenbande Autos knackt. Ich bin ins Hotel Stadt Berlin geflüchtet, wo die Polizei mich einholte. Sie haben mich abgeführt und auf der Wache in der Keibelstraße hinter tausend Stahltüren verhört.“

Andere kamen weniger glimpflich davon. Doch anders als der Stasi-Knast in Hohenschönhausen wird das Gebäude heute nicht als Museum genutzt, sondern immer noch von der Polizei. Zumindest teilweise. „Der große Rest steht nämlich leer“, sagt Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau. Da der Kollhoff-Plan nämlich geltendes Baurecht ist, darf nur so dicht gebaut werden wie vorgesehen. Oder aber gar nicht. So bleibt der Stillstand noch für Jahre programmiert.

An den Rändern der urbanen Hölle allerdings bewegt sich etwas. An der Karl-Liebknecht-Straße gegenüber des Berliner Verlags will die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft ihre beiden leeren Bürohäuser abreißen – und einen Parkplatz errichten. Auch das Stück Manhattan.

Und im „Haus des Reisens“ an der Ecke Alexanderplatz/Otto-Braun-Straße hat sich seit einiger Zeit der Club Week-End eingenistet. Nicht im Keller, sondern hoch droben in der 12. Etage. Wer am Samstag oder Sonntag Morgen hier vorbeikommt, stößt zwar nicht auf richtige, dafür aber auch reichlich Partyleichen. Selbst das leer stehende „Mehlschwalbenhaus“, über viele Jahre hinweg der städtebauliche Schandfleck an der Mollstraße, ist inzwischen abgerissen. Hier soll ein neues „Königstadt-Carrée“ entstehen.

Doch das ist alles nur Fassade. Die Wirklichkeit am Alexanderplatz-Nord liegt in den Hinterhöfen. Dazu gehört auch der Elektro- und Hifi-Discounter Innova. Dessen Geschäftsführung hatte sich vor einiger Zeit überlegt, wie man mehr Kunden in die urbane Hölle locken kann. Das Ergebnis: Ende letzten Jahres mussten die Verkäuferinnen barbusig zur Arbeit antreten, um Fernseher und Kühlschränke an den Mann zu bringen. Eine ganz neue Variante von „Geiz ist geil“, made in Berlin, Alexanderplatz.