: Vogeljagd auf ostfriesische Art
Rabenvögeln geht es im Landkreis Leer an den Kragen. Forscher wollen untersuchen, ob die Reduzierung der Bestände zum Schutz bedrohter Vogelarten beitragen kann. Dies sei Vogelmord unter dem Deckmantel Wissenschaft, meinen Tierschützer
VON JÜRGEN VOGES
Ist es nun Forschung? Oder ist es einfach „Vogelmord“, wie Tier- und Naturschützer meinen? Im Rahmen eines „Projekts Rabenkrähen- und Elsternfang im Landkreis Leer“ sind im Nordwesten Niedersachsens binnen zehn Monaten über 10.000 Krähen und Elstern gefangen und erschlagen worden. Jäger haben die Vögel mit Hilfe von Ködern in mehrere Meter große Drahtkäfige, so genannte Norwegische Krähenfallen, gelockt. Nachts blendeten die Waidmänner dann die Tiere mit Taschenlampen und töteten sie „tierschutzgerecht durch Zerschmettern der Hirnkalotte mit einem Rundholz“, wie Projektleiter Professor Klaus Pohlmeyer vom Institut für Wildtierforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover am Montag betonte. Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium hatte da zu einem Symposium über das umstrittene Projekt geladen, und draußen demonstrierten Tierschützer gegen das „Abschlachten von Rabenvögeln in Ostfriesland“.
Wie es in einem noch unveröffentlichten Zwischenbericht heißt, den Professor Pohlmeyer und sein Mitarbeiter Forstwirt Andreas Grauer verfasst haben, ist es „der primäre Untersuchungsaspekt des Projekts, wissenschaftlich zu dokumentieren und zu analysieren, ob mit dem Norwegischen Krähenfang eine gezielte Bestandsreduzierung von Rabenkrähen und Elstern großflächig umsetzbar ist“.
Das Bundesjagdgesetz verbietet eigentlich die Vogeljagd mit Fallen und damit auch den Einsatz der Norwegischen Käfigfallen. Für wissenschaftliche Zwecke sind aber Ausnahmegenehmigungen möglich, und eine solche Genehmigung wurde Professor Pohlmeyer nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums erteilt. Das Projekt soll insgesamt drei Jahre lang laufen, wobei die Fangsaison jeweils von vier Monaten Schonzeit, von April bis Juli, für die Aufzucht der Jungvögel unterbrochen wird. Das Ministerium bezahlt die wissenschaftliche Auswertung des Projekts mit 63.000 Euro, die es aus Mitteln der Jagdabgabe zur Verfügung stellt, aus der das Land jagdfördernde und manchmal auch Naturschutzprojekte finanziert. Projektleiter Pohlmeyer nennt das zu Recht eine geringe Summe.
Da trifft es sich, dass Pohlmeyer nicht nur das Institut für Wildtierforschung in Hannover leitet, sondern auch die niedersächsische Landesjägerschaft, bei der er mittlerweile vom Vizepräsidenten zum Präsidenten aufgestiegen ist. Das Töten der Vögel und auch die Zählung der Bestände hat die Kreisjägerschaft des Landkreises Leer denn auch kostenlos übernommen.
Nach dem Zwischenbericht wurden 2004 in dem ostfriesischen Landkreis allein in den fünf Monaten Februar, März und August bis Oktober insgesamt 5.057 Rabenkrähen und 526 Elstern gefangen und erschlagen. In jeder der Norwegischen Fallen, die durch nach innen weisende Drähte an den Einfluglöchern zum Gefängnis werden, saß etwa alle zwei Tage ein Vogel fest.
Quasi als Beifang erwischte es 234 Saatkrähen, Dohlen und Eichelhäher und zudem 34 Raubvögel, die laut Zwischenbericht allesamt unverletzt wieder freigelassen wurden.
In den fünf weiteren Fangmonaten November 2004 bis März 2005 wurden nach Angaben von Forstwirt Grauer nicht wesentlich weniger Krähen und Elstern getötet. Die mehr als 10.000 bislang erschlagenen Vögel entsprächen etwa 20 bis 25 Prozent des Bestands der beiden Arten im Landkreis Leer. Ob sich durch Fang und Massentötung tatsächlich die Populationen an Rabenkrähen und Elstern verringere, hänge nun von den Brutzahlen beider Arten ab, meint Grauer. Möglicherweise würde nun einfach mehr Nachwuchs großgezogen. Genau diese Frage, wie sich der Bestand entwickelt, wenn in einem Landkreis gut 160 Krähenfallen aufgestellt sind, wolle das Projekt beantworten.
Erst in zweiter Linie will die Untersuchung die höchst umstrittene Frage klären helfen, welchen Einfluss der Bestand an Krähen und Elstern auf Wiesenbrüter und Niederwild hat. Dazu wird allerdings nur in fünf Jagdrevieren des Kreises Leer der Bestand an Feldhasen geschätzt. In einigen Flussniederungen des Kreises werden bereits regelmäßig die Kibietznester gezählt, und der Rebhuhnbestand wird ohnehin landesweit von den Jägern taxiert. Die Jäger und Forscher hoffen offensichtlich, dass es in ihrem Revieren bald nicht nur weniger Rabenkrähen gibt, sondern auch mehr jagdbare Hasen und Rebhühner.
Zwar würden sich Krähen und Elstern nach einer Schweizer Untersuchung nur zu 0,6 bis 0,8 Prozent von „Vogeleiern, Jungvögeln und Wirbeltieren“ ernähren, ihr Einfluss auf einzelne Beutetierarten könne jedoch groß sein, heißt es in dem Zwischenbericht. Gerade diese Aussage, die Elstern und Krähen quasi zu Wilderern in des Jägers Revier macht, war auf dem Symposium in Hannover sehr umstritten. Der Leiter des renommierten Instituts für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“, Franz Bairlein, nannte es etwa „mitnichten begründet, dass Rabenkrähen Wiesenbrüter langfristig dezimieren“.
Der Naturschutzbund Nabu erschien erst gar nicht zu dem Symposium und erklärte stattdessen: „Das Projekt ist keine Wissenschaft.“ Im Zusammenspiel von Landwirtschaftsministerium und Landesjägerschaft gehe es vielmehr um die Einführung der Fallenjagd. „Das Etikett Wissenschaft wird nur benutzt, um die Grenzen des Jagdrechts zu verschieben“, so der niedersächsische Nabu-Sprecher Ulrich Thüre. Es seien vor Beginn der Tötungen von Rabenkrähen und Elstern keine Analysen der Bestände von Wiesen- und Rabenvögeln durchgeführt worden, es gebe keine Paralleluntersuchungen auf Vergleichsflächen und zudem fehle auch noch eine Tierversuchsgenehmigung.
Laut Projektleiter und Jägerschaftspräsident Pohlmeyer hat sich die Ethikkommission der Tierärztliche Hochschule Hannover nicht vorab mit dem Projekt befasst. „Die Ethikkommission ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos, weil es sich um eine jagdliche Frage handelt“, meinte der Wildbiologe: „Im jagdlichen Bereich gibt es keine Versuchstiere.“
Rein jagdlich gesehen müssten Rabenkrähe und Elster allerdings waidgerecht nach dem Bundesjagdgesetz und nicht per Falle und Ausnahmegenehmigung für die Wissenschaft erlegt werden. Mit dem durchaus erlaubten und waidgerechten Schuss auf diese Vögel tun sich aber nicht nur niedersächsische Jäger schwer. Die „Reduktion“ der beiden Arten sei „mit der Schusswaffe aufgrund des ausgeprägten Fluchtverhaltens nur sehr schwer möglich“, heißt es in Pohlmeyers eigenem Zwischenbericht. Das geduldige Ansitzen auf Krähe und Elster ist eben des Waidmanns Sache nicht.