: Wissen wir das nicht schon lange?
betr.: „Die schmutzigen Tricks der Billigdiscounter“, Das taz-Dossier zu den Methoden der Discounter, taz vom 18. 6. 05
Gut recherchiert, interessant geschrieben, reißerisch aufgemacht: die schmutzigen Tricks der Billigdiscounter. Der taz sei ein solcher Titel vergönnt, er liest sich ja auch spannend, aber mal ehrlich: Wissen wir nicht schon alle lange, wie es um die Arbeitsbedingungen bei Lidl, Aldi & Co. steht?
Jeder, der schon einmal dort eingekauft hat, kennt den Stress an der Kasse, die Ware schnell genug in den Wagen zurückzuwerfen, um der Kassiererin nicht noch mehr Probleme in ihrem unermüdlichem Kampf gegen die nicht enden wollende Schlange zu bescheren. Das Schlimme jedoch: Wir ändern unser Einkaufsverhalten nicht!
Früher ging man zu Aldi, weil man kein Geld hatte. Man tat es nicht gern und gab es schon gar nicht zu. Das ist lange vorbei. Billig ist in und die Discounterprodukte erzielen in Tests regelmäßig Bestnoten. Ein einigermaßen kluger Mensch, und von denen stehen leider viel zu viele in den Schlangen der Lidls und Aldis im Land, weiß doch ganz genau, dass die billigen Preise auf den Schultern von jemandem anders als den Albrecht-Brüdern lasten.
Wo bleibt ein kritisches Einkaufsbewusstsein, die moralische Verantwortung der gebildeten Besserverdiener, die in den letzten Jahren maßgeblich zum Boom der Discounter beigetragen haben? Wir dürfen nicht auf die Deutsche Bank schimpfen, so lange wir in einem solchen Maß Aldi und Lidl unterstützen. Gutes Olivenöl gibt’s auch im Edeka, liebe Studienräte, Journalisten, Psychologen dieser Nation! KATHARINA SEMMLER, Münster
Es ist ehrenhaft, wenn ihr (und Ver.di) sie endlich (wieder-)entdeckt: die Geschundenen im Lebensmitteleinzelhandel. Aber irgendwo zwischendrin sollte zumindest der Satz stehen: Das war eigentlich schon immer so.
Die Zustände bei Schlecker sind mir persönlich schon seit Ende der 80er-Jahre bekannt, als ich selbst noch im Lebenmitteleinzelhandel tätig war – bei einer mittelständischen Lebensmittelkette, die zwischenzeitlich verkauft ist (Pfannkuch). Und zu Lidl ging nur, wem die 60 bis 80 Stunden, die man in der Woche ab Position Filialleiterassistent gearbeitet hatte, nicht genug waren. Unbezahlte Überstunden, Mobbing, wenn man sie einforderte, Kassenkontrollen, Schikanen, Abmahnungen bei Kleinigkeiten (Ware nicht ausgepackt trotz 80 Stunden nachweislich gearbeitet), falsche Verdächtigungen, die man gleich noch rum erzählte, ausgesetzte Beförderungen, künstliche Personalverknappung usw. – all das gab es sogar bei anderen Unternehmen als „nur“ bei den Discountern. Es ist in der Branche üblich – der konventionellen wohlgemerkt.
Ich habe 1990 gekündigt, mit sechs Wochen Kündigungsfrist zum Quartalsende – es war das erste Mal, dass ich Überstunden eingefordert und bekommen hatte – für drei Monate habe ich vier Wochen Überstunden abgebaut – und angesichts der bevorstehenden Kündigung schon angefangen, deutlich weniger zu arbeiten. „Normal“ war, morgens um halb sieben spätestens im Laden zu stehen, die Mittagspause nur zu einem Viertel zu nehmen und dann bis viertel/halb acht im Laden zu stehen, bis die Kasse gemacht war, bei Ladenschließung um 18.30 Uhr. 38,5 Stunden hatte ich meist schon donnerstags nach der Frühstückspause – Freitag/Samstag gehörte nicht Vati, sondern dem Unternehmen.
Man sollte also nicht so tun – auch die Gewerkschaften nicht – als hätten sie da was Neues entdeckt. Sie sind bislang nur nicht damit (so massiv) an die Öffentlichkeit gegangen. JÖRG RUPP, Malsch