: „Wir Muslime sind kein Integrationsproblem“
UMWEG Warum muslimische Poetry Slammer zumindest übergangsweise ihre eigene Bühne brauchen, erklärt Organisator Younes Al-Amayra
■ 26 (Foto unten links), ist Mitbegründer von i,Slam. Er ist in Kiel aufgewachsen und hat Islam- und Politikwissenschaften an der Universität Kiel studiert. Heute lebt er in Berlin.
taz: Herr Al-Amayra, warum brauchen Muslime eigenen Poetry Slams?
Younes Al-Amayra: Poetry Slam wird oft in Bars oder Klubs gemacht. Das ist für einen praktizierenden Muslim nicht so leicht, wenn das Publikum besoffen ist. Da fühlt man sich einfach unwohl. Die verstehen ja kaum die Themen, die man anspricht.
Was ist beim i,Slam anders?
Vielleicht, dass er um 17 Uhr, statt um 22 Uhr stattfindet und statt Alkohol gibt es bei uns Saft zu trinken. Im Prinzip unterscheidet er sich aber nicht so großartig vom eigentlichen Poetry Slam. Wir haben vielleicht noch eine Regel, die sich ein wenig abhebt.
Welche?
No Verbalism. Verbale Attacken sind bei uns zu unterlassen. Der islamische Rahmen muss hier gewahrt bleiben. Das heißt, dass die Slammer keine anderen Gruppen angreifen dürfen. Blasphemische Witze sind auch untersagt, aber das versteht sich ja eigentlich von selbst.
Damit schränken Sie ja die Freiheit der Kunst ein…
Nein, das stimmt nicht. Es hebt das Niveau. Gerade, wenn es um Comedy geht, hackt man oft auf Randgruppen rum. Als wäre es dann weniger schlimm. Rassistische Angriffe beispielsweise in Humor zu packen, hat für mich nichts mit Kunst zutun.
Und ist Selbstironie erlaubt?
Klar! Wir wünschen uns das sogar, weil wir gelernt haben, dass Humor die Sprache ist, die jeder versteht. Satirische Texte kommen bei unserem Publikum super an. Dass bei uns eigentlich immer die humorvollen Texte siegen, spricht ja für sich.
Worüber slammen muslimische Jugendliche?
Die Themenwahl ist völlig offen. Wir haben religiöse, politische und gesellschaftliche Themen. Auf unserer Tour überwiegen oft die religiösen Texte.
Ist es nicht kontraproduktiv, wenn die Muslime wieder ihr eigenes Ding machen?
Nein, wir wollen die muslimischen Jugendlichen stärken, damit sie auf die großen Bühnen gehen können und sich trauen, dort ihre Meinung zu sagen.
Slammen Sie auch anderswo?
Ja. Ich persönlich habe auch kein Problem damit, wenn getrunken wird. Ich gehe ja mit einer anderen Absicht dorthin. Mit dem Alkohol habe ich nichts zutun.
Können auch Jugendliche mit anderem religiösem Hintergrund bei Ihnen mitmachen?
Nein.
Warum nicht?
Unser Projekt ist in erster Linie dafür da, jungen Muslimen den Sprung auf die „richtigen“ Bühnen zu ermöglichen. Damit sie mithalten können. Bei uns steht eigentlich der Empowering-Gedanke im Vordergrund. Das kann man mit der Deutschen Islamkonferenz vergleichen. Es geht eigentlich nur darum, junge Muslime in einen gesellschaftlichen Fokus zu rücken und sie aus der geschlossenen, rein muslimischen Gesellschaft herauszuholen. Wir sind aber kein Integrations- oder Dialogprojekt.
Was heißt das konkret?
Muslim sein ist keine Ethnie. Man muss uns nicht integrieren. Das hier ist unsere Heimat. Keiner von uns versteht sich als Integrationsproblem. Das ist es ja viel mehr, was die Slammer in ihren Texten kritisieren.
Ein wenig religiöse Werbung ist aber schon dabei, oder?
Na ja, klar. In erster Linie stehen die Slammer ja auch mit ihrer muslimischen Identität auf. Unsere Regeln nennen wir zum Beispiel die fünf Säulen des i,Slam. Das und natürlich der Name sind Analogien. Das Publikum ist aber nie rein muslimisch. Wir wollen bewusst auch Nicht-Muslime dabei haben. Es geht uns um Selbstdarstellung. Die Muslime berichten mal aus ihrer Sicht. Das stößt Dialoge an.
Sie kommen mit Ihrer Idee aber nicht überall gleichermaßen gut an, oder?
Kritik gibt es ja überall. Bisher habe ich aber sehr wenig gehört. Die Kritik aus unseren Reihen rührt eher daher, dass Muslime aus der alten Generation nichts mit Poetry Slam anfangen können. Bei manchen Texten nehmen die Slammer die Muslime und ihre Macken schon mal ziemlich hoch. Manche sitzen dann ratlos da. Soll ich jetzt lachen? Darf ich lachen? Es ist ihnen einfach noch fremd.INTERVIEW: YASMINA SAYHI