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Archiv-Artikel

„Literatur öffnet die Türen“

„So wie es Unterschiede zwischen Finnland und Spanien gibt, gibt es Unterschiede zwischen Marokko und Syrien.“ Der spanische Schriftsteller Juan Goytisolo über die arabische Welt, Literatur und warum er stolz ist, ein Spanier zu sein

taz: Herr Goytisolo, warum leben Sie in Marrakesch?

Juan Goytisolo: Weil es ein Ort ist, wo ich gleichzeitig arbeiten und leben kann.

Sie sind also fasziniert von der arabischen Welt?

Ich bin nicht fasziniert, aber ein Kenner der arabischen Welt. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, benenne ich es auch, beispielsweise den Terrorismus, die Islamisten, Unterdrückung und Diktatur in der arabischen Welt.

Warum interessieren Sie sich gerade für die arabische Welt?

Wenn man sich mit spanischer Literatur beschäftigt, beschäftigt man sich zwangsläufig auch mit der arabischen Kultur, weil sie ein Bestandteil der spanischen Literatur und Sprache ist.

Gibt es für Sie generelle Unterschiede zwischen Orient und Okzident?

Es gibt keine verallgemeinerbaren Unterschiede. So wie es Unterschiede zwischen Finnland und Spanien gibt, gibt es Unterschiede zwischen Marokko und Syrien. Ich rede immer nur über konkrete Länder. Eine Generalisierung kenne ich nicht. Es gibt nicht den Islam, sondern es gibt eine Vielzahl von islamischen Ländern. Ich bemühe mich, die Besonderheiten darzustellen.

Gibt es grundlegende Missverständnisse zwischen Orient und der westlichen Welt.

Dieser Widerspruch existiert in den Ländern selbst. Zwischen Kräften, die zivilgesellschaftliche Prozesse vorantreiben wollen, und fundamentalistisch, konservativen Kräften. In Marokko gibt es beispielsweise Frauen, die sich für Verbesserungen einsetzen. Aber auch die Situation der Frauen in den arabischen Ländern ist je nach Land unterschiedlich.

Aber die Dominanz der Männer ist fast überall gleich …

Das stimmt, deshalb passen sich junge Migrantinnen aus diesen Ländern in Frankreich viel schneller an als die Jungs. Die Mädchen gewinnen in der neuen Situation, die Jungs stagnieren.

Sie sind bei uns mehr als Essayist denn als Schriftsteller bekannt.

Das liegt sicherlich auch daran, weil meine Literatur keine Bestseller-Literatur ist und nicht alles übersetzt wird. Ein Buch wie das „Tagebuch von Sarajevo“ lässt sich leichter übersetzen als ein Roman. Ich habe in den letzten acht Jahren 15 Bücher geschrieben. Ich setze nicht auf Masse oder habe ein Drehbuch im Kopf.

Was ist für Sie gute Literatur?

Wenn ich auf ein Buch nach Jahren noch einmal zurückgreife und ganz neue Aspekte entdecke. Außerdem öffnet Literatur die Türen zu einem Land. Als Kenner der russischen Literatur hatte ich zum Beispiel Zugang zu Tschetschenien. Man kann nur über ein Land schreiben, wenn man Grundkenntnisse darüber hat. Die wiederum bekommt man vor allem über Literatur. Nur so kann man die gesellschaftlichen und kulturellen Phänomene eines Landes begreifen.

„Spanien und die Spanier“ war eines Ihrer ersten Erfolgstitel. Worauf sind Sie heute als Spanier stolz?

In Spanien passierte nach dem 11. März – dem brutalen Terror in Madrid – nichts, in Holland brannten nach dem Attentat auf Theo van Gogh die Moscheen. Die Spanier haben den Krieg im Irak für den Terror verantwortlich gemacht haben. Regierungschef Aznar wollte den Schulterschluss mit den Großmächten, weil er sich wichtig machen wollte. Die Spanier haben sich dagegen gestellt. Aznar musste gehen. Das hat mich stolz gemacht. INTERVIEW: EDITH KRESTA