: Mit einem großen Herzen
TECHNO TOGETHER Hase, Hirsch und Vögel lauschen auf dem Cover Oliver Koletzkis „Großstadtmärchen“. Genau so schart sich die elektronische Rockwelt um den Minimal-Techno-Musiker mit dem melancholischen Einschlag
VON ANDREAS HARTMANN
Berlin ist ja keine Großstadt im eigentlichen Sinne. Berlin ist ein Dorf, wie wir alle wissen. Zumindest tun wir alles dafür, um uns mitten in der Stadt zu so fühlen, als lebten wir auf dem Lande. Abends geht es in eine Strandbar oder zum Sonnenuntergang-Gucken auf der Modersohnbrücke. Am Wochenende zieht es den Berliner unbedingt ins Grüne. Selbst das Berliner Clubleben macht auf Landidylle. Der Club der Visionäre, das Rechenzentrum, die Bar 25: all diese Orte am Strand versprechen ein Raus aus Berlin – und gerade deswegen sind sie so dermaßen Berlin.
Oliver Koletzki, Berliner DJ- und Produzentenstar, auf dessen Label die Berliner Lebensgefühlshymne „3 Tage wach“ von Lützenkirchen veröffentlicht wurde, hat nun auf seinem eigenen, zweiten Album versucht, diese ewige Natursehnsucht der Berliner abzubilden. „Großstadtmärchen“ heißt seine Platte, eine einzige Hymne an Berlin, auf der etwa die Warschauer Straße in Friedrichshain gewürdigt und das Fahren mit der U-Bahn romantifiziert wird.
Auf dem gezeichneten Cover der Platte sieht man einen Oliver Koletzki mit DJ-Schal und Ringelpulli auf einer Waldlichtung hocken, um ihn herum Hasen, Hirsche, Vögel und anderes Getier. Die Sonne scheint durch das Geäst, und mitten im prallen Grün bedient der Musikus einen Synthesizer. Ein Hauch deutscher Romantik umschwebt den Technoproduzenten. Die Sache mit den Tieren erscheint konsequent, wenn man bedenkt, dass Koletzki bereits 2005 einen riesigen Clubhit hatte mit dem Titel „Mückenschwarm“.
Eine gehörige Portion Selbstironie steckt schon in diesem Cover, bestimmt aber auch die klare Negierung des Bildes von Techno als urbaner, „kalter“ Musik, das noch in den Neunzigern vorherrschte. Koletzki knüpft eher an die Beschwörung der Natur in den beliebten Freiluftraves an, an die Goa-Kultur, an das Tanzen unter dem Sternenhimmel, an Techno als großes Come-together urbaner Neo-Hippies, die sich auf Partys eher dem Geiste Woodstocks verpflichtet fühlen als dem Detroits.
Armada der Gastmusiker
Der Gedanke des Come-together ist für Koletzki geradezu allumfassend. So wie sich auf seinem Plattencover die Tiere des Waldes um ihn scharen, versammelt er auf seinem Album eine ganze Armada an Gastmusikern. Koletzki sucht nicht das einsame Produzentenstübchen, sondern geht unter Menschen, mit denen er seine Platte aufnimmt.
Was in Berlin sich in den letzten Jahren wieder dramatisch auseinanderdividiert hat, die elektronische und die Rock-Welt, die für Berliner Acts wie To Rococo Rot einen kurzen historischen Moment lang eins waren, das will Koletzki ganz offensichtlich wieder zusammenbringen. Für fast jeden seiner Tracks hat er sich einen Sänger mit ins Studio geladen, die Liste an Gästen liest sich ziemlich schillernd, nicht alle kommen aus Berlin, aber viele. Axel Bosse, der bei Wikipedia unter „Deutschrock“ gelistet wird, fährt mit Koletzki „U-Bahn“ in dem gleichnamigen Track. Das ist halbwegs lustig, da seine letzte eigene Platte „Taxi“ hieß. Mieze von Mia singt „This Is Leisure“ und die Berliner Rockband Kate Mosh klingt in „Headshaped Box“ eben wie die Berliner Rockband Kate Mosh, die von Koletzki remixed wurden.
Koletzki schafft es, dass mit „Großstadtmärchen“ endlich wieder ein Album aus dem Berliner Minimal-Techno-Dunstkreis veröffentlicht wird, das mehr ist als eine Ansammlung mehr oder weniger funktionierender Clubtracks. „Großstadtmärchen“ ist ein Album, das auch als Album funktioniert, mit einer einigermaßen überzeugenden Dramaturgie und anstatt Klicker-Klacker-Minimal, wie man es nur noch schwer erträgt, versehen mit einem Schuss House und mit einem großen Herzen, das für Achtzigerjahre-Pop schlägt. Statt der Ravesau Koletzki, wie man sie von „Mückenschwarm“ her kennt, gibt es jetzt den Melancholiker, den weichen Koletzki, eben den Hippie unter Berlins Technoproduzenten.
Zurzeit ist der DJ und Produzent unterwegs durch deutsche Clubs, um sein Album zu promoten. Auf der Bühne erlebt man ihn folgerichtig mit einer Band. Er selbst bedient den Synthesizer, das sieht dann so ähnlich aus wie auf dem Bild auf seinem Plattencover.
■ Oliver Koletzki: „Großstadtmärchen“ (Stil vor Talent)