: Bedingt willkommen
VON PHILIPP GESSLER
Die Zuwanderung von russischsprachigen Jüdinnen und Juden aus Osteuropa wird erschwert. Darauf einigten sich die Innenminister des Bundes und der Länder nach Verhandlungen mit dem Zentralrat der Juden. Damit gehören die Regelungen für jüdische „Kontingentflüchtlingen“ von 1990 der Vergangenheit an – Bestimmungen allerdings, die sowieso seit Einführung des Zuwanderungsgesetzes mit Beginn des Jahres außer Kraft treten sollten.
Das Kontingentflüchtlingsgesetz hatte in den vergangenen knapp 15 Jahren zu einem Wiederaufleben des Judentums in Deutschlands geführt. Weil die SED jegliche historische Verantwortung für die Opfer des Holocausts und ihre Nachkommen abgelehnt hatte, brachte die frei gewählte Volkskammer am 12. April 1990 als Geste der Entschuldigung großzügige Regeln zur Aufnahme von jüdischen Zuwanderern aus der Sowjetunion auf den Weg. Nach der Wiedervereinigung wurde dieses Kontingentflüchtlingsgesetz in der Praxis beibehalten – auch um die langsam dahin sterbenden jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik zu stärken.
So konnte die Zahl der Mitglieder der jüdischen Gemeinden von knapp 30.000 im Jahr 1990 auf über 105.000 im vergangenen Jahr steigen (siehe Grafik). Fast 95.000 von ihnen kommen aus den Ländern der GUS, wodurch die deutschen Gemeinden einen starken russischen Anstrich bekommen haben, wie es auch der Historiker Julius Schoeps im unten stehenden Interview beschreibt. Insgesamt sind seit 1991 etwa 200.000 Menschen als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland eingewandert. Aber nicht alle konnten oder wollten in die jüdischen Gemeinden eintreten.
Die Innenminister von Bund und Ländern planten ursprünglich mit dem neuen Zuwanderungsgesetz sehr viel schärfere Bestimmungen für die Einreise jüdischer Immigranten. Ende vergangenen Jahres setzten sie dem Zentralrat der Juden in einem Überraschungscoup die geplanten neuen Regeln vor, die schon am 1. Januar mit dem Zuwanderungsgesetz in Kraft treten sollten. Der Zentralrat protestierte. Es kam zu Verhandlungen, die nun zu einem Ergebnis geführt haben.
Demnach kann einwandern, wem in seinem alten sowjetischen Pass eine „jüdische Nationalität“ bescheinigt wurde oder wer ein jüdisches Elternteil vorweisen kann. Auch die Eheleute des Einreisenden und seine minderjährigen, unverheirateten Kinder können mitkommen. Eine „Integrationsprognose“ soll vorliegen, bei der die Berufsabschlüsse, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und das Familienumfeld berücksichtigt werden. Auch Grundkenntnisse der deutschen Sprache muss der oder die Einwanderungswillige nun vorweisen.
Die Zentrale Wohlfahrtsstelle des Zentralrats soll den Immigranten die „Aufnahmemöglichkeit“ in die Gemeinden bescheinigen – was zu Konflikten führen könnte, da eigentlich nur Nachkommen einer jüdischen Mutter in den orthodox geprägten Gemeinden Aufnahme finden dürfen. Eine Härtefallklausel für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung weicht die Regeln wieder etwas auf. Klar ist auch, dass etwa 53.000 Juden, die bereits eine Aufnahmezusage haben oder eine Einreise beantragt haben, nun davon ausgehen können, dass sie einwandern dürfen. Die neuen Regeln gelten nicht für Juden aus baltischen Staaten.
Der Präsident des Zentralrats, Paul Spiegel, begrüßte die Einigung als „fairen Kompromiss“, auch wenn man nicht „mit allen Einzelheiten der neuen Verfahrensweise glücklich“ sei. Auch die Union progressiver Juden und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zeigten sich zufrieden mit der Einigung. Für die Länder sagte der Kieler Innenminister Ralf Stegner, man habe die Regeln „im Bewusstsein der historischen Verantwortung“ Deutschlands getroffen.
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