: Märchen, Streik und Stimmungsmacher
Die Beachvolleyball-WM auf dem Schlossplatz geht mit einer sportlichen Überraschung und einer Bronzemedaille für ein deutsches Team zu Ende – die zur Schau gestellte gute Laune wird auch durch eine Boykottdrohung der Spieler nur kurz getrübt
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Andreas Scheuerpflug ist einer der erfahrensten und besten Beachvolleyballer Deutschlands. Mit seinem Partner Christoph Dieckmann hat er Erfolge beinahe überall in der Welt gesammelt. Er kennt die Szene. Nach seinem ersten Match bei der WM, die gestern auf dem Schlossplatz in Mitte zu Ende gegangen ist, meinte er schon: „Das ist fast besser als bei der letzten WM.“ Gefragt worden war er nach der Stimmung in der Arena. Die letzte WM fand übrigens in Rio de Janeiro statt. Einmalig war in der Tat, dass der Centre Court in Berlin schon an den ersten Tagen der WM gut gefüllt war. Schlugen deutsche Athleten auf, blieb auch an den frühen Nachmittagsstunden kaum ein Platz frei. Dem Duo Dieckmann/Scheuerpflug hat’s nicht geholfen. Es verlor sein erstes Match. Mehr als ein neunter Platz war am Ende nicht drin für die beiden.
Dennoch war die Stimmung bestens bei den deutschen Nationalteams. Schon am Samstag stand fest, dass eine Medaille im Land bleiben würde. Die deutschen Paare Marvin Polte und Thorsten Schoen sowie Julius Brink und Kjell Schneider hatten sich für das Halbfinale qualifiziert. Am Sonntag um 10 Uhr sollte die erste Halbfinalpartie über die Bühne gehen. Schon um 9 Uhr drängten tausende auf das Gelände vor dem Palast der Republik. Der Eintritt beim Beachvolleyball ist traditionell frei. Nur wer am Sonntag früh aufgestanden war, konnte einen guten Platz ergattern.
Die Fans hatten wohl gehört von jener sportmärchenhaften Geschichte des ungesetzten Duos Polte/Schoen, das völlig überraschend in die Vorschlussrunde einziehen konnte. Am Ende kam das umjubelte Märchenpaar auf Platz vier. Die Bronzemedaille ging an das Duo Schneider/Brink. Auch das war eine riesige Überraschung, die vom Publikum genau so lautstark gefeiert wurde wie das neue Weltmeisterpaar aus Brasilien, Marcio Henrique Barroso Araujo und Fabio Luiz de Jesus Magalhães.
Und wieder sprach die Beachwelt von der Stimmung in Berlin. Die entsteht bei der Volleyballvariante auf Sand keineswegs von allein. Zwei nimmermüde Stadionsprecher sind pro Spiel am Mikrofon und fordern die Zuschauer immer wieder zum Mitklatschen auf. Und so kann es passieren, dass ein erwachsener Mensch, der eigentlich einen ganz passablen Musikgeschmack hat, zu längst verstaubten Stimmungsklassikern wie „Live is live“ heftigst die Hände ineinander schlägt. In den Pausen zwischen den Sätzen läuft eine Gruppe von Sandtänzerinnen auf den Platz und führt ein paar einfache Choreografien vor, die auch deshalb gut ankommen, weil die Tänzerinnen so schön mit Po und Busen wackeln können.
Po und Busen sollen auch die Spielerinnen zeigen. Die Bekleidungsvorschriften des internationalen Volleyballverbandes regeln, dass ja keine Spielerin in Trikot und einer herkömmlichen Sporthose aufläuft. Knappe Bikinis müssen getragen werden. Beachvolleyball muss sexy sein. Auch das soll zur viel besungenen Strandstimmung beitragen, von der am Ende wieder einmal alle geschwärmt haben. Für Furore haben im Frauenwettbewerb die Paare aus China gesorgt, die sich erstmals ganz weit oben platzieren konnten bei einem der ganz großen Turniere. Jia Tian und Wang Fei holten Bronze für das Land, in dem 2008 die Olympischen Spiele stattfinden werden. Den Titel gewannen die Amerikanerinnen Kerri Walsh und Misty May-Treanor, die schon bei der letzten WM mit Gold ausgezeichnet worden waren. Sie schlugen im Finale die Brasilianerinnen Larissa Franca und Juliana Felisberta da Silva. Freudestrahlend hielten die Amerikanerinnen den riesigen Pokal in die Höhe. Und alle jubelten.
Ausgerechnet die Amerikanerinnen haben also triumphiert. Gerade um ihre Teilnahme hatte es zunächst Ärger gegeben. Immer wenn die Stimmungslieder verklungen waren und die Stadionsprecher einmal schwiegen, wenn die Gute-Laune-Maschinen einmal zur Ruhe gekommen waren, dann wurde es richtig ernst in der Beachvolleyballszene. Die Spieler drohten vor Beginn der WM mit einem Boykott, sollten die US-Teams teilnehmen dürfen. Die Spieler der anderen Nationen vermuteten, dass den amerikanischen Teams bessere Verträge vom Weltverband angeboten worden seien als ihnen selbst. Die Worte „Streik“ und „Boykott“ beherrschten die Berichterstattung über die WM in den ersten Tagen. Es kam heraus, dass die Spielerinnen mit wahren Knebelverträgen an den Weltverband gebunden wurden, dass ihnen untersagt wurde, eine Spielergewerkschaft zu gründen. Der Weltverbandspräsident hat nach einem 100-Minuten-Streik zugesichert, dass neue Kontrakte ausgehandelt werden können. Endlich wurden wieder Bälle geschlagen. Endlich war nicht mehr vom Geschäft die Rede, endlich wurde an den Beachbars neben dem Centre Court wieder genüsslich an den teuren Drinks genuckelt. Endlich herrschte wieder beste Strandstimmung in Berlin.