kritik der Woche : Die Kunst des Mordens
An Gift denkt nicht jeder, der 16 Tassen Kaffee sieht. Auch wenn sie auf dem Boden stehen, der Inhalt der ersten nahezu reinschwarz ist und der der letzten fast schon crèmefarben, dazwischen feinste Abstufungen: Immer mehr Weiß. Klar ist das Kunst, weil: Im Alltag begegnet man so einer Serie selten. Und schließlich hat Thomas Rentmeister seine Tassen auch nicht irgendwohin gestellt, sondern ins Bremer Künstlerhaus. Und das ist eine Galerie – auch wenn ihr gekalkter Saal eher nach Atelier aussieht. Aber zum Giftanschlag wird die titellose Installation erst durch einen Namen: Gesche Gottfried.
Gesche ist eine Horrorfigur aus der Bremer Lokalhistorie, 19. Jahrhundert, später geadelt durch Rainer Werner Fassbinder: Sein 1971 verfasstes Stück „Bremer Freiheit“ deutet die 13-fache Giftmörderin zur Heroine um. Ihre Taten – Kampf, Terror, Anarchie. Die besten Belege für diese Lesart liefert das pfeffersackige Großbürgertum selbst, das die Kapital-Verbrecherin noch nach Vollzug der Todesstrafe an den Pranger stellt. Gegen Eintritt zu sehen: Ihr abgeschlagener Kopf in Spiritus. Gratis: Ein Stein, vorm Dom, auf den honorige Hanseaten bis 1931 zu rotzen pflegten – in memoriam Gesche.
„Bremer Freiheit“ heißt auch die Schau im Künstlerhaus, und die Gesche-Figur ist der Brennspiegel, in dem sich die maliziöse Stichelei ihrer sechs Exponate zur Bosheit verdichtet. Und das, obwohl nur eines von ihnen – eine Performance von Gregor Schneider – direkt auf die Story eingeht: Ebensowenig wie Rentmeisters Kaffeetassen hätte, für sich genommen, Ralf Bergers „Kleines Miststück“ mit der Mörderin zu tun. Dabei handelt es sich um eine 1995 arrangierte Apparatur aus einem Kühlgerät und einer an die Wand gehängten, frostkalten Platte. Auf die, so will’s der Künstler, soll der Besucher spucken – damit der Speichel gefriert.
Was würde man darin ohne die Historie von der Mörderin lesen? Würde dieses frech-durchdachte Werk auch ohne sie eine faszinierend-schreckliche Geschichte von Gewalt und Gegen-Gewalt erzählen? Egal: Wichtig ist nur, dass sie erkennbar ist. Und dass Dosierung und Auswahl der Exponate sowohl das Thema kontrastreich variieren, als auch jedem einzelnen Zeit lassen, zu wirken: „Bremer Freiheit“ ist eine winzige Schau und doch ein echtes, hochgiftiges Kunst-Ereignis. Jung, bitter – und dringend zum Konsum empfohlen. benno schirrmeister
Künstlerhaus am Deich, Bremen, Mi-So 14-19 Uhr. Bis 2. 10.