piwik no script img

Archiv-Artikel

Jeder Einzelne eine Last

Hamburgs SPD und Grüne enttäuscht über Beschluss, Kabul-Abschiebungen zu beginnen. Diplomaten warnen, Afghanistan verkrafte Rückkehrer nicht

„Afghanistan ist ökonomisch nicht bereit, Rückkehrer aufzunehmen“

von Eva Weikert

Mit Enttäuschung und Kritik hat die Hamburger rot-grüne Opposition auf den Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) reagiert, mit Abschiebungen nach Afghanistan zu beginnen und auf ein Bleiberecht für langjährig Geduldete zu verzichten. Das Hamburger Netzwerk Afghanistan Info berichtet von einer „Flut von Ratsuchenden“, nachdem die IMK in Stuttgart am Freitag einen Bleiberechtsvorschlag der SPD-Länder verworfen hatte. In Hamburg, wo mit 15.000 bundesweit die meisten Afghanen leben, muss jeder Dritte mit Ausweisung rechnen. Eine Gruppe afghanischer Diplomaten, die gestern die Hansestadt besuchte, warnte im Gespräch mit der taz, Rückkehrer seien für Afghanistan zurzeit wirtschaflich nicht zu verkraften.

Nach der IMK-Entscheidung sollen nach unverheirateten Männern auch allein stehende Frauen und später Familien zurückkehren (taz berichtete). „Das Telefon stand bei uns am Wochenende nicht still“, sagt Ilse Schwartz von Afghanistan Info. In „großer Sorge“ und „völlig verängstigt“ hätten Flüchtlinge nach den Folgen des IMK-Beschlusses gefragt. Der Sprecher der Hamburger Innenbehörde, Marco Haase, bekräftigte gestern lediglich, in den nächsten Monaten sollten 180 bis 200 allein stehende Männer ausgeflogen werden. Über Abschiebungen anderer Gruppen wolle er sich zurzeit nicht äußern.

„Die Menschen müssen Bescheid wissen, wie es weitergeht“, kritisiert Aydan Özoguz (SPD) den Verzicht auf ein Bleiberecht für bestimmte Gruppen. Besonders Familien hätten das Angebot als „Signal gebraucht. Im Wahlkampf aber scheint vernünftige Politik von Seiten der CDU unmöglich zu sein.“ GALierin Antje Möller warnt: „Afghanistan ist kein Land, in das man einfach so zurückkehren kann.“ Nur wer dort Familie habe und zugleich eine fachliche Qualifikation mitbringe, habe in dem kriegszerstörten Land „eine Chance“, so Möller, „dorthin darf man niemanden nur mit einem Koffer abschieben“.

Im Gespräch war ein unbefristetes Bleiberecht für alle, die bereits mehr als sechs Jahre hier leben und nicht auf staatliche Stütze angewiesen sind. Stattdessen verabschiedete die IMK „Grundsätze“ für Kabul-Abschiebungen. Demnach „können“ die Ausländerbehörden vor dem 24. Juni 1999 Eingereisten, die feste Arbeit haben, „weiteren Aufenthalt zulassen“. Ausnahmen können auch in Härtefällen für Azubis, Familien mit Kindern und Alleinerziehende gemacht werden.

Bei ihrem gestrigen Besuch in Hamburg stellte eine diplomatische Delegation aus Kabul klar, Rückkehrer seien für das Land eine Last und keine Hilfe. „Ökonomisch sind wir noch nicht bereit, die Flüchtlinge zurückzunehmen“, so die Diplomatin Shaime Nasiri. Zur massiven Wohnraum- und Nahrungsnot komme Massenarbeitslosigkeit hinzu. „Für uns sind Rückkehrer derzeit ein Problem“, ergänzte Achmed Jawed Mojadedy, „wir können sie nicht beschäftigen.“ Zu aus Europa Abgeschobenen kämen hunderttausende aus den afghanischen Nachbarländern.

„Afghanistan ist auf die Versorgung der Rückkehrer nicht vorbereitet“, sagte auch der frührere deutsche Botschafter in Kabul, Dieter Woltmann, bei dem Treffen im Rathaus: „Da ist jeder Einzelne eine Last.“ Hilfe beim Aufbau könne nur leisten, wer berufliche Qualifikation mitbringe. Auch er berichtete, die Wohnungsnot sei „ungeheuer“. Zugleich sei die Gesundheitsversorgung „sehr schlecht“. Aus Sicht der Betroffenen, so Woltmann, „ist die Rückkehr darum sehr oft eine sehr traurige Sache“.