Die Liebe ist ein seltsames Spiel

TANZTHEATER Die Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen präsentiert in der Schwankhalle eine Hommage an Pina Bausch. Das Thema ist – mal wieder – die Liebe

Pikant, dass ein Kontakthof eine Einrichtung aus dem Rotlichtmilieu ist. Das floriert ungebremst und dürfte schon für den Fortbestand von so mancher Ehe gesorgt haben

VON ANDREAS SCHNELL

Von Georg Büchners „Woyzeck“ über Hans Magnus Enzensbergers „Untergang der Titanic“ bis zu einem Stück über die Grünen-Mitgründerin Petra Kelly – die Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen scheut nicht vor anspruchsvollen Stoffen zurück. Mit „Komm nah!“ hat sich die Gruppe um den künstlerischen Leiter Holger Möller für ihre neueste Produktion allerdings einer besonderen Herausforderung gestellt: Zwar arbeitete die Truppe schon einmal mit Elementen des Tanztheaters, aber mit Laien eine mehr als einstündige Choreografie zu entwickeln, ist dann doch ein bemerkenswerter Schritt.

„Komm nah!“, das am Montagabend Premiere feierte, ist als Hommage an Pina Bausch angekündigt, jene Ikone des modernen Tanztheaters, die vor fast genau drei Jahren starb und der Wim Wenders seinen 3D-Film „Pina“ widmete. In eben diesem Film finden sich Passagen aus Bauschs berühmtem Stück „Kontakthof“, auf das sich die Studierenden in „Komm nah!“ ausdrücklich berufen.

In Bauschs 1978 uraufgeführtem „Kontakthof“ geht es um die Sehnsucht nach Zuneigung, nach Liebe, um Verliebtsein, Werben, nicht zuletzt aber auch um Zurückweisung und Enttäuschung. Szenerie bei Bausch wie auch in „Komm nah!“ scheint eine Art Tanzschule zu sein. Vorher dürfen wir aber hier wie da beobachten, wie sich Männlein und Weiblein fesch machen für den Abend. Keine Frage: Es wird viel Aufwand getrieben in diesen Dingen. Schließlich ist das Liebesleben nicht nur die Sphäre, in der sich Menschen von den Zwängen des Alltags entledigt wähnen, sondern auch eine Conditio sine qua non für gelingendes Leben. Pikant an dieser Stelle, dass ein Kontakthof auch eine Einrichtung aus dem Rotlichtmilieu ist. Das floriert offenbar ungebremst und dürfte durchaus schon für den Fortbestand von so mancher Ehe gesorgt haben.

Die Diskrepanz zwischen Romantik und Desillusion arbeitet „Komm nah!“ – ganz wie bei Pina Bausch – in einem Szenenreigen. Um dann mit Betrachtungen aus Erich Fromms „Kunst des Liebens“, nach der die Liebe etwas ist, was erlernt werden kann und muss, zu einem besinnlichen Schluss zu finden. Kontrastiert wird das von Augusto Jaramillo Pineda choreografierte Geschehen – Annäherung, Zurückweisung, Entäuschung, Trost, neue Enttäuschung – auf der Tanzfläche immer wieder mit Filmeinspielungen von Traumpaaren und höchst romantischen Liebeserklärungen, eine dreiköpfige Live-Band unter der Leitung des Komponisten und Akkordeonisten Florian Oberlechner leuchtet zwischen fast klassischer Tanzmusik und dramatischen Dissonanzen die schwankenden Stimmungen aus.

Tänzerisch ist das natürlich nicht perfekt – aber das war es bei Pina Bauschs „Kontakthof“ auch schon nicht zwingend. Sie selbst inszenierte das Stück schließlich selbst zweimal mit Laien, einmal mit Schülern und Schülerinnen ab 14 Jahren, einmal mit älteren Menschen ab 65 Jahren. Wobei uns da noch eine Parallele auffällt: Schon die Rezensenten des „Kontakthof“-Gastspiels beim „Festival International de Nouvelle Danse“ in Montreal 1985 berichten, dass das Stück von manchen als zu lang empfunden wurde. Auch „Komm nah!“ hätte durchaus noch ein paar Kürzungen vertragen können, was wir vor diesem Hintergrund also beinahe als ironische Verbeugung vor der Meisterin verstehen könnten – wenn nicht, bleibt eine durchaus respektable Leistung festzuhalten.

■ Sonntag und Montag, 19.30 Uhr, Schwankhalle