: Die Protestfreundinnen
WIDERSTAND Gegen die Macht der Banken, für die Freiheit der Walschützer: Eine pensionierte Lehrerin und eine Pharmazeutin im Ruhestand radeln von einer Demonstration zur nächsten
GERDA HÖLZLE ÜBER IHR ERSTES TREFFEN
VON EVA-LENA LÖRZER
Dienstag, 9 Uhr, vor dem Kanzleramt. Drei Menschen in Haifischkostümen mit Euronoten an den Flossen robben über das Pflaster, reißen ihre Mäuler auf und zeigen Zähne. Daneben: eine Anzugträgerin mit Merkelmaske, in ihrer Hand eine Stahlkette mit der Aufschrift „Transaktionssteuer“. Hinter den Performern der Organisation Campact steht eine Gruppe von circa 35 Demonstranten. Die meisten von ihnen sind über fünfzig. Heidi Gerfert, die mit ihrer Freundin Gerda Hölzle die Performance verfolgt, sagt: „Wer außer Rentnern kann um die Zeit auch kommen?“ Sie stimmt wieder in den Rufchor ein: „Keine Macht den Banken! Zocker in die Schranken!“
Die 69-jährige pensionierte Lehrerin Heidi und die 70-jährige ehemalige Pharmazeutin Gerda gehen regelmäßig zusammen demonstrieren. Kennengelernt haben sich die beiden vor zwei Jahren am Spreeufer: „Wir waren beide walken, jede für sich“, erzählt Gerda. „Mit einem Mal war da eine Menschentraube: Ein Baggerboot hat Müll aus dem Fluss geholt“, fährt Heidi fort. Gerda nickt: „Unter anderem einen Einkaufswagen! Wir standen nebeneinander und haben uns empört, was die Leute so wegschmeißen.“ Der Beginn einer Freundschaft. Sie haben viel gemeinsam: Beide sind Wahlberlinerinnen, haben Kriegs- und Fluchterfahrung und ihre Töchter allein großgezogen. „Ich habe so auf Heidi eingeredet, ich dachte, die meldet sich nie wieder“, sagt Gerda. Trotzdem hat sie Heidi ihre Adresse gegeben. Und Heidi hat ihr geschrieben.
Die Finanzhaie wedeln mit ihren Geldflossen. Der Demonstrantenchor ruft: „Zähne ziehen! Zähne ziehen!“ Drei Jugendliche in roten Campact-T-Shirts reißen der Maskenmerkel die Transaktionssteuerkette aus der Hand und wickeln die Haiaktivisten damit ein. Die Demonstranten rufen: „Merkel, Merkel!“ Die Merkelmaske reagiert und verschließt das Schloss. Die echte Merkel, abgeschirmt von den schalldichten Fenstern des Kanzleramts, bekommt von alldem nichts mit.
Heidi und Gerda haben es eilig. Es ist beinahe 10 Uhr. Um halb 11 beginnt die nächste Demo. Heidi bittet um ein Megafon und macht die Ansage, dass es noch eine weitere wichtige Veranstaltung gebe: an der Siegessäule, zu Watson. Watson ist den um sie Stehenden kein Begriff. Heidi erklärt, da gehe es um Robben, Wale und Haie. Watson, dem Meeresschützer, drohe eine Auslieferung nach Costa Rica, wo er in Haft soll. Das müsse man verhindern. Jetzt gleich. Also los! Gerda und Heidi gehen zu ihren Fahrrädern. Ein Mann fragt: „Aber da geht es um wirkliche Haie?“ Heidi schwingt sich auf ihr Rad und antwortet im Losfahren: „Um die Tiere, ja.“
An der Siegessäule, die zwei Kilometer entfernt liegt, ist das Publikum dreißig Jahre jünger. Heidi und Gerda rufen: „Endlich mal junge Leute!“ Watson lässt auf sich warten, es gibt keine Schattenplätze und auch die Cafés in der Nähe haben noch nicht auf. Gerda kramt in ihrem Rucksack und zeigt Heidi das Buch, das sie gerade liest: H. D. Thoreau: „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat“. Ungehorsam gegenüber dem Staat ist bei beiden quasi von Haus aus gegeben: Gerda wuchs als Katholikin in der DDR auf, Heidi als Tochter eines Gewerkschafters im, wie sie sagt, damals unpolitischen Ruhrgebiet.
Klatschen, Stampfen
Paul Watson trifft ein. Der amerikanische Umweltaktivist spricht von einem Podest: „Hier geht es nicht länger um Wale. Hier geht es um die Rettung der Meere. Ob ich ins Gefängnis muss oder nicht, wir geben nicht auf. Meine Crew ist erfahren genug, ohne mich weiterzumachen.“ Trillerpfeifen, Klatschen, Stampfen. Watson endet mit der Prophezeiung: „Wenn wir die Meere leerfischen, sterben die Meere. Wenn die Meere sterben, sterben wir alle.“ Ein Mann wiegt sein schreiendes Kind und summt dabei eine beruhigende Melodie. Heidi und Gerda pfeifen zum Zeichen der Zustimmung.
„Das ist ja ganz unser Thema“, sagt Heidi. „Umweltschutz, Klimawandel, alles, wo es um die Erde geht.“ Heidi kommt aus der Anti-AKW-Bewegung und hat während ihres Studiums in Berlin die Straßenkämpfe der 68er miterlebt. Gerda nickt: „Mir geht es um die Natur, um alles, was wir zum Leben brauchen. Und um Gerechtigkeit.“ In der DDR hat sie sich offen zum Katholizismus bekannt, indem sie mit Caritas-Büchsen Spenden sammelte, ihrer Tochter hat sie den Beitritt zur FDJ verboten: damals eine hohe Form von Protest. Jetzt sind Heidi und Gerda zahlende Mitglieder bei Greenpeace und Ethikon. Neben dem Demonstrieren sammeln sie Unterschriften. „Derzeit dafür, dass die Strom- und Wassernetze zurückkommen in Berliner Hände, in die Kommune“, erklärt Gerda.
Gerda und Heidi legen die Listen in ihrer Nachbarschaft aus, in Reformhäusern, Apotheken und kleinen Läden. „Wir brauchen 20.000 Unterschriften“, sagt Gerda. An den meisten Orten sei es aber verboten, die Listen auszulegen. In der Bibliothek, selbst im Rathaus. „Ich wollte im Rathaus ein Plakat aufhängen“, erzählt Heidi. „Da sagt der Sachbearbeiter, das sei ja so politisch, das könne er nicht entscheiden. Er wollte sich dann mit dem Stadtrat in Verbindung setzen und zurückrufen. Natürlich habe ich nie einen Anruf gekriegt.“
Schwierigkeiten hin oder her: Aufgeben wollen die beiden nicht: „Es gibt heute noch Leute, die sagen, in der DDR musste man ja. Nee, man musste nicht! Man brauchte Rückgrat. Aber man konnte sich verweigern. Das hat mich geprägt“, sagt Gerda. Heidi nickt und sagt: „Selbst wenn es nur ein kleiner Teil ist: Wenigstens tragen wir einen Teil bei.“ Was die junge Generation angeht, ist die ehemalige Lehrerin ratlos: „Die sind so unpolitisch. Irgendwie ja auch verständlich. Alles ist so verschult heutzutage, dass Denken nicht mehr auf dem Programm steht.“
Ihre Tochter aber hat während des Studiums eine Stiftung gegründet: Globalawarenet. Motto: „Be aware, act aware, make aware.“ Ganz die Mutter.