: Beschimpft, bedroht und ausgepfiffen
Beschäftigte im öffentlichen Dienst gehen mit der Sparpolitik der Großen Koalition und vor allem dem Regierungschef hart ins Gericht. Sie fordern das Ende der Einsparungen und einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Bundesländer
bremen taz ■ Gellende Pfiffe hallen durch den AWD-Dome: ein unfreundlicher Empfang für Bürgermeister Henning Scherf (SPD) auf der ersten Personalversammlung des gesamten bremischen öffentlichen Dienstes seit Jahrzehnten. Rund 11.000 Mitarbeiter machen gestern ihrem Unmut über die Kürzungen im öffentlichen Sektor Luft – unter dem Motto „Jetzt reicht’s“. Auf Transparenten fordern die Gewerkschaften Neu-Einstellungen. Die Kindergärtnerinnen haben ein Modell gebastelt, auf dem die Stadtmusikanten in umgekehrter Reihenfolge stehen – der Esel ganz oben.
Der Esel des Tages heißt Henning Scherf. Er sitzt in der ersten Reihe, neben ihm Frank Bsirske, Bundesvorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die beiden wechseln nicht viele Worte, denn die werden Scherf von den Personalräten an den Kopf geworfen. Einer nach dem anderen erklimmt das Rednerpult und präsentiert austauschbare Botschaften. Sichere Arbeitsplätze fordern sie, Fortbildungen und einen einheitlichen Tarifvertrag, der für alle Berufsgruppen und Bundesländer gelten soll. In Bund und Kommunen sei auch ein einheitlicher Abschluss erzielt worden.
Scherf stützt den Kopf schwer auf seine Hand, schaut abwechselnd zur Decke und auf den Boden. Mehr Reaktionen gibt es nicht – auch nicht, als der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats, Edmund Mevissen, einen „Politikwechsel“ fordert.
Sein Kollege Willi Hinners vom Personalrat der Polizei geht weiter. Er sei fassungslos über weitere Sparbeschlüsse der Regierung, die seinen Beamten Weihnachts- und Urlaubsgeld nehmen wolle. Allein in den vergangenen zehn Jahren seien 300 Mitarbeiter entlassen worden. Das zehre auch an den Nerven des Personalrats. Und dann ruft Hinners in den Saal: „Verhaltet euch nicht wie im Mittelalter: Köpft nicht den Überbringer der Nachricht, köpft den Urheber.“
Henning Scherf bleibt äußerlich gelassen, doch die Angriffe treffen ihn persönlich. Und als er nach mehreren Stunden kritischen Trommelfeuers ans Rednerpult darf, wirkt er alles andere als souverän. „Sie können mir den Kopf abschlagen wie Herr Hinners fordert, aber das wird nichts ändern“, sagt der Bürgermeister. Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes hätten nicht das Mandat, den Wählerwillen von vor zwei Jahren zu korrigieren. Gellende Pfiffe. „Das ist die Wahrheit, ich verstehe nicht, was es zu pfeifen gibt“, ruft Scherf und will etwas über die „schlimme Haushaltslage“ erzählen, in der Bremen stecke.
„Komm zur Sache“, ruft einer. „Hau doch ab“, eine andere. Einige Beschäftigte lassen ein Transparent mit Luftballons über dem Bürgermeister aufsteigen: „Weiter so Herr Scherf! Erst den öffentlichen Dienst plätten, dann selbst in sichere Rente retten“, steht darauf. Der Bürgermeister redet weiter. Er sei für den Tarifvertrag, allerdings mit regionalen Fenstern – sprich: Bremen will eine Sonderregelung unter den Bundesländern, um weniger zahlen zu müssen. Und später sagt er, dass er ja nicht in der Verhandlungskommission sei.
Scherfs einziger Versuch, auf die Protestierenden zuzugehen, scheitert jämmerlich. „Ich stelle mich vor den öffentlichen Dienst“, sagt der Bürgermeister – der zweite Teil seines Satzes geht im schallenden Gelächter des Publikums unter. Nach wenigen Minuten geht Scherf unter Pfiffen wieder an seinen Platz, lehnt sich zurück und lauscht der Rede von Frank Bsirske, der es weitgehend vermeidet, die Bremer Regierung anzugreifen. Aber dass beim Personal gespart worden und es trotzdem nicht gelungen sei, den Haushalt zu sanieren – das kritisiert der Gewerkschaftsführer dann doch.
Ingo Neuhaus will das nicht mehr mit anhören. „Was Scherf gesagt hat, war der letzte Müll“, sagt der Sozialpädagoge, der in einem Kindertagesheim arbeitet. Nach 14 Jahren weiß er nicht, wo er nach den Sommerferien arbeiten wird. „Leute mit Zeitverträgen sind schon weg“, sagt Neuhaus. Streiks seien das richtige Mittel, von Personalversammlungen hält der 39-Jährige nicht viel, er will nur Präsenz zeigen.
Und Henning Scherf? Gibt ein Interview. Ob ihn die Versammlung beeindruckt habe, fragt ein Reporter. Scherf zuckt die Schultern und sagt: „Ja, aber ich habe das schon häufiger erlebt.“ Was denn nun geschehe? Scherf: „Nach Personalversammlungen arbeiten wir weiter.“ Spricht‘s und geht – mit raumgreifenden Schritten Richtung Rathaus. Auch an die Arbeit? kay müller