: Eine große Portion Trotz
GRUPPE C Beim 1:1 gegen Spanien erweisen sich die von zahlreichen Problemen geplagten Italiener wieder einmal als große Improvisationskünstler
UEFA-PRÄSIDENT MICHEL PLATINI zur SQUADRA AZZURRA
AUS DANZIG MARKUS VÖLKER
Italien ist ein Phänomen. Wenn nichts mehr zu gehen scheint, schwingt sich das Nationalteam zu einer bemerkenswerten Leistung auf. „Wenn am Anfang niemand an Italien glaubt, holt es am Ende immer das Beste aus sich heraus“, sagt Paolo Rossi, Italiens WM-Held von 1982. Er traut der Squadra Azzurra nach dem 1:1 gegen Spanien sogar den Titel zu. „Wenn ihr Schwierigkeiten habt, wachst ihr immer über euch hinaus.“ Das hat Uefa-Präsident Michel Platini gesagt. Als Spross piemontesischer Auswanderer und als ehemaliger Spieler bei Juventus Turin kennt er sich ein wenig aus mit italienischen Befindlichkeiten. „Wir sind gewachsen, wir haben uns verwandelt. Das ist Italien“, freute sich Coach Cesare Prandelli nach dem Spiel.
Italiens Nationalteam ist schwer gebeutelt vom Wett- und Manipulationsskandal in der Liga. Domenico Criscito wurde aus dem Team genommen, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft einen Ermittlungsbescheid zugestellt hatte. Das hatten die Behörden bei Verteidiger Leonardo Bonucci versäumt. Nur deswegen stand er am Sonntagabend im Danziger Stadion überhaupt auf dem Feld. Auch Torwart Gianluigi Buffon, als großer Zocker bekannt, steht unter Verdacht, verbotene Wetten auf Spielausgänge getätigt zu haben. Allein 1,6 Millionen Euro hat er an einen Tabakhändler wohl zu diesem Zwecke überwiesen. So musste sich Trainer Cesare Prandelli in der hohen Kunst der Improvisation üben. Vor allem die Abwehr musste er umbauen, weil sich im letzten Vorbereitungsspiel auch noch Defensivkraft Andrea Barzagli verletzt hatte.
So wurde aus einer Vierer- eine Dreierkette, in der Mittelfeldspieler Daniele De Rossi als zentraler Ausputzer agierte. Der gerade erst genesene Giorgio Chiellini und ebenjener Leonardo Bonucci spielten De Rossis Kompagnons. Prandelli lobte seine zusammengewürfelte Abwehrformation: „Sie haben sich an meine Anweisungen gehalten.“ Das Team geht mit erstaunlichem Pragmatismus vor – und einer Portion Trotz. So war das auch im Jahr 2006, als Italien ziemlich überraschend Fußballweltmeister wurde. Die Liga ächzte unter dem als Calciopoli oder Moggiopoli (benannt nach dem sinistren Strippenzieher Luciano Moggi) in die Fußballgeschichte eingegangenen Skandal, aber siehe da: Die Mannschaft erwies sich während des Sommermärchens in Deutschland als äußerst robust. Vor dem Turnier hätte freilich kaum jemand einen Pfifferling auf die Squadra Azzurra gesetzt.
1982 war das ähnlich. Zwei Jahre zuvor war der italienische Fußball von seinem bislang größten Wettskandal erschüttert worden. Damals hatten zahlreiche Spieler und Klubfunktionäre Partien der Ersten und Zweiten Liga durch Ergebnisabsprachen manipuliert. Der AC Mailand und Lazio Rom wurden zum Zwangsabstieg verurteilt. Stars wie Paolo Rossi wurden mit langen Sperren belegt, aber es war ebenjener Rossi, der Italien zum WM-Titel in Spanien schoss.
Die italienische Presse blieb nun nach dem ersten Auftritt gegen Spanien erstaunlich zurückhaltend. „Besser als erwartet. Es bleibt die Zufriedenheit zurück, gut gegen die Weltmeister gestartet zu sein nach all dem Notstand und den Polemiken in den letzten Wochen“, schrieb La Repubblica. „Wie lautet noch mal diese alte Geschichte? Wenn die Italiener in die Enge getrieben werden, holen sie das Beste heraus. Es ist wieder passiert“, meinte der Corriere della Sera. Die Süddeutsche Zeitung hebt die „große Geduld“ des Trainers hervor. Die wird er auch mit Mario Balotelli haben müssen, seinem Entfant terrible. In der Spitze verstolperte er eine Großchance und wurde gegen Antonio Di Natale, den späteren Torschützen, ausgetauscht. Aber angesichts der problematischen Großwetterlage ist Balotellis Versagen nur ein klitzekleiner Sturm im Wasserglas.