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Archiv-Artikel

Katastrophe und Katharsis

Gegen diese Außerirdischen helfen keine Heldentaten: Steven Spielbergs „Krieg der Welten“ folgt nur in Teilen der Logik des sommerlichen Kinospektakels. Die Spezialeffekte sind nicht Selbstzweck, sondern machen aus dem Film ein düsteres Märchen

Neben diesen Kreaturen mit ihrem unstillbaren Appetit auf Menschenfleisch nehmen sich andere Aliens wie Haustiere aus

von BERT REBHANDL

Der Blitz schlägt mitten auf einer Straßenkreuzung in New York ein. Einmal, zweimal, dreimal, immer an derselben Stelle. Unter den verstörten Augenzeugen gewinnt ein Mann in mittleren Jahren zuerst die Fassung zurück. „Wo bleibt der Donner?“, fragt Ray Ferrier. Er ahnt bereits, dass er es hier nicht mit einem Naturereignis zu tun hat, sondern mit einer Katastrophe ungekannten Ausmaßes. Neben ihm kauert seine Tochter Rachel. Panische Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben. Der Donner kommt dann doch noch, als Begleiterscheinung eines Erdbebens, bei dem ein Ding zum Vorschein kommt, das zugleich unter- und außerirdisch ist. „Ein ungeheurer Dreifuß, höher als viele Häuser“, beschrieb sie der Science-Fiction-Autor H. G. Wells, als er sich 1898 den „Krieg der Welten“ ausdachte. „Eine Maschine war es wohl, mit metallisch klingendem Schritt und langen, biegsamen, glitzernden Fühlern (von denen einer eine junge Fichte erfasste), die schwingend und rasselnd von dem seltsamen Körper herabhingen.“

In seiner Verfilmung von „Krieg der Welten“ hält sich Steven Spielberg überraschend genau an die Beschreibung in der literarischen Vorlage. Die turmhohe Kreatur auf drei Beinen ist zugleich Maschine und Monster, Vehikel und Panzer – ein Alien, neben dem die Saurier aus dem „Jurassic Park“ wie Haustiere wirken. Die Gegner verbergen sich direkt in ihren Waffen. Ihre Technologie wirkt primitiv, sie ist aber so überlegen, dass es lange so aussieht, als gebe es dagegen kein Mittel. Ray Ferrier (Tom Cruise) reagiert auf die Bedrohung wie ein Familienvater. Er denkt zuerst an die Sicherheit seiner Kinder Robbie (Justin Chatwin) und Rachel (Dakota Fanning). Um sie aus der Gefahrenzone zu bringen, kennt er anfangs keine Rücksicht. Das einzige Auto, das noch fährt, kapert er ohne Umstände. Dann fährt er los, nach Norden, in Richtung Boston, wo er seine geschiedene Frau weiß. Die Mutter ist über das Schicksal ihrer Kinder auch deswegen im Ungewissen, weil mit der Invasion vom Mars die Informationsgesellschaft zusammenbricht. Stromversorgung und Datenübertragung funktionieren nicht mehr. Die Menschen irren in Massen durch die Gegend, den Blick ständig zum Himmel gerichtet, um den Fangarmen der Dreifüßer auszuweichen. Rette sich, wer kann, ist die Devise. Aus dem Chaos erwächst keine Gattungssolidarität. Der Krieg der Welten ist so asymmetrisch, dass er mit Heldentaten nicht zu gewinnen ist.

Das ist ein ungewöhnliches Konzept für einen Film, der in der Kategorie der Sommer-Blockbuster dieses Jahr die Maßstäbe setzen möchte. Rund um den Erdball kommt „Krieg der Welten“ zum selben Datum in die Kinos. Ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit soll auf das erste Wochenende verdichtet werden. Kaum je unterlag ein Film einer ähnlich strikten Politik der Geheimhaltung vor dem Start. Selten auch stand ein Star so allein in der Verantwortung für einen kommerziellen Erfolg wie Tom Cruise, der in „Krieg der Welten“ nur die angstgeweiteten Augen der elfjährigen Dakota Fanning neben sich duldet. Mit dem Kind im Arm irrt er durch eine apokalyptische Landschaft. Für den schlechten Vater Ray Perrier ist die kosmische Heimsuchung eine persönliche Bewährungsprobe. Nun kann er gutmachen, was er bisher an den Kindern versäumt hat.

In dieser Reduktion der Geschichte auf das Drama einer zerrissenen Familie kann sich sowohl Steven Spielberg wiederfinden, der nahezu sein ganzes Kino um einsame Kinder errichtet hat, wie auch Tom Cruise, der immer noch aussieht (und aus der Rolle fällt) wie ein Teenie-Star, sich aber sukzessive ein Verantwortungsethos erarbeitet. Die Vermittlung zwischen dem sentimentalen Technokraten Spielberg und dem autoritären Charmeur Cruise fiel bei „Krieg der Welten“ allem Anschein nach einem Drehbuchautor zu: David Koepp erst hat aus dem Roman von H. G. Wells und der dazu erfundenen Figur von Ray Perrier eine Synthese gezogen, die zur Katastrophe noch die Katharsis hinzufügt. Für Koepp, der sein bestes Szenario für David Finchers „Panic Room“ geschrieben hat, ist in „Krieg der Welten“ das ganze nordöstliche Amerika ein Panikraum. Ray Ferrier sucht für sich und seine Kinder eine Zuflucht. Zuerst ist es das Auto, dann ein leeres Haus, schließlich ein verfallener Keller.

Spielberg ließ sich bei dieser Odyssee deutlich von einem Klassiker des Unheimlichen inspirieren. In Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers“ mussten zwei Kinder sich eines sinistren Beschützers erwehren. Den Expressionismus eines bangen Blicks in die undurchsichtige Nacht, auf bedrohliche Horizonte oder in trübe Gewässer übersetzt Spielberg in eine Reihe von archetypischen Bildern, vor denen das Mädchen Rachel eigentlich die Augen verschließen müsste. Doch sie kann nicht, und das Publikum findet sich in dieser Konstellation perfekt vertreten: im Fluchtinstinkt des Vaters und im Impuls der Kinder, einfach stehen zu bleiben und zu schauen. Ray Ferrier verliert auf diese Weise seinen Sohn, der unbedingt einmal zurückschauen möchte in die Feuersbrunst, die von den Dreifüßern entfacht wird. Noch in der Familienzelle gilt für Koepp eine Ausschließungslogik, die dazu führt, dass der Vater sich in einer bestimmten Situation für die (vorläufige) Rettung eines Kindes entscheiden muss. Deswegen ist „Krieg der Welten“ auch durch zwei Blickweisen strukturiert: Die Angstlust schaut nach hinten, der Überlebensinstinkt schaut nach vorne. Hinten brennt der Himmel, vorne ist das Dunkel.

Die Invasoren selbst sind auf eine ambivalente Weise unanschaulich. Sie gleichen einer Medusa, deren Anblick unerträglich ist, während sie selbst alles sehen können. Auf langen Schlangenarmen dringen ihre Augen in jeden Spalt vor, tasten die Umgebung mit ihren Sensoren ab, suchen nach den Menschen, von deren Blut sie sich ernähren. Die spannendste Szene von „Krieg der Welten“ ist ein Versteckspiel zwischen einem dieser Roboteraugen und dem lautlos von Ecke zu Ecke schleichenden Ray Ferrier, der sich und Rachel in einem genialen Moment hinter einem Spiegel versteckt. Das Wesen aus dem All fährt auf die Scheibe zu und erblickt sich selbst darin – doch wessen Blick ist es? Verfügen die „ungeheuren, kalten und unheimlichen Geister“, von denen Wells schrieb, über eine Form der Subjektivität? Oder sind sie nicht doch in erster Linie blutrünstige Zombies, leere Form und reine Destruktion?

Bei Wells bleibt dieser Widerspruch ungelöst, Spielberg hält ihn bewusst offen. Der „Krieg der Welten“ des Jahres 2005 spielt ausdrücklich in einem politischen Niemandsland. Alle allegorischen Potenziale des Stoffs bleiben ungenutzt. Als Orson Welles 1938 mit seiner Hörspielfassung im amerikanischen Radio eine Massenpanik auslöste, lag dies auch daran, dass viele Menschen in diesem November eine Invasion durch Hitler-Deutschland befürchteten. Sie verwechselten den Halloween-Schabernack mit Kriegsberichterstattung und liefen vor Raketen davon, die sie aus Europa kommen sahen. In Spielbergs „Krieg der Welten“ gibt es einen kleinen Witz, der darauf anspielt. Es ist der einzige selbstreflexive Moment in einem Film, der ansonsten so traditionalistisch ist, dass die Spezialeffekte nicht als Ersatzhandlung (für einen Mangel an motivierter Handlung, wie in so vielen Blockbustern der jüngeren Zeit), sondern als das Andere der Menschengeschichte erscheinen. Während Ray Ferrier kaum mehr auf Hilfsmittel zurückgreifen kann, erschöpfen sich die Marsianer am Ende in Technologie.

Die darwinistische Pointe, die in „Krieg der Welten“ das Happy End ersetzen muss, stand so schon in der Vorlage von H. G. Wells. Überraschend ist, dass sie beibehalten wurde. Auch bei Spielberg ist der Sieg der Gattung ein Sieg der Natur, während die Technik – das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Blockbuster von den anderen Formen des populären Kinos – ausschließlich negativ besetzt ist. Im Marsmetall wohnen Vampire, die nur in einer ewigen Nacht bestehen können. Tom Cruise und Steven Spielberg singen in „Krieg der Welten“ ein Wiegenlied, das so weit in den Albtraum hineinreicht, dass im Moment der äußersten Intimität zwischen Vater und Tochter das Mädchen mit verbundenen Augen selbst ein Lied für sich singen muss, während Ray Ferrier hinter einer verschlossenen Tür einen grauenhaften Akt der Selbstverteidigung begeht.

Die analytische Intelligenz von David Koepp wiegt in diesem Moment schwerer als der Narzissmus des Stars und das Bedürfnis des Regisseurs, bald wieder in das Reich der Sonne zurückzukehren. Das Blockbusterkino hatte sich in den letzten Jahren kontinuierlich von den Emotionen abgetrennt und Formen der reinen Kinetik entwickelt, bei denen es vor allem um Sensationen der Wahrnehmung ging. Blitz und Donner gingen frenetisch ineinander über. In „Krieg der Welten“ ist der Blockbuster nur die eine Hälfte der Geschichte. Die andere ist das Märchen, die schwarze Fabel, der unruhige Traum. Dass daraus kein fauler Kompromiss (und kein schizophrener Film) wurde, liegt daran, dass zwischen Blitz und Donner jene kleine Ewigkeit der Ungewissheit nicht vergessen wird, in der Furcht und Erleichterung sich erst entfalten können.

„Krieg der Welten“, Regie: Steven Spielberg. Mit Tom Cruise, Dakota Fanning u. a., USA 2005, 120 Min.