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Archiv-Artikel

NRWler misstrauen Neuwahlen

Bei roten und grünen Bundestagsabgeordneten aus NRW ist der Ärger über den Neuwahlcoup gewaltig. Jetzt kriegt der Kanzler die Quittung: Viele Parlamentarier drohen, Schröder zu vertrauen

VON ANDREAS WYPUTTA

Immer mehr Parlamentarier auch aus Nordrhein-Westfalen verweigern SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem sauerländischen Fraktionschef Franz Müntefering die Gefolgschaft. Bei der morgen anstehenden Vertrauensfrage wollen sie sich nicht wie von ihren Fraktionsspitzen gefordert der Stimme enthalten, sondern dem Kanzler aus Wut, Frust, Ärger und Verzweiflung das Vertrauen aussprechen.

„Wenn mich der Kanzler auffordern würde, ihm zu bestätigen, dass die Erde eine Scheibe ist, würde ich auch mit ja stimmen“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Friedrich Ostendorff aus Unna. Keinesfalls sei er bereit, Münteferings Neuwahlcoup zu unterstützen: „Ich bin nicht bereit, eine solche Farce mitzumachen.“ Ostendorffs Begründung: Die Taktik von SPD-Kanzler und -Fraktionschef spiele bestenfalls CDU und FDP in die Hände. „Die Blockademehrheit der Union im Bundesrat wird sich nicht verändern. Und die Mehrheit im Bundestag haben wir schon“, sagt der Biobauer – und zitiert Altkanzler Adenauer: „Mehrheit ist Mehrheit.“

Ähnlich sehen das auch die grünen Parlamentarierinnen Jutta Dümpe-Krüger (Lippe) und Irmingard Schewe-Gerigk (Ennepe-Ruhr). Beide kündigten auf taz-Nachfrage an, Schröder unterstützen zu wollen. „Eine übergroße Mehrheit der Abgeordneten von SPD und Grünen wird Schröder das Vertrauen aussprechen“, sagt Schewe-Gerigk. Für Dümpe-Krüger ist das eine Frage des Gewissens: Wichtig sei, dass nicht der Eindruck von „Tricksereien“ entstehe. Dann könnten sich Bundespräsident Horst Köhler oder später gar das Bundesverfassungsgericht doch noch Neuwahlen aussprechen – und das sogar mitten im dann bereits laufenden Bundestagswahlkampf.

„Es werden eine Menge Leute für Schröder stimmen“, sagt auch der Dortmunder Grüne Markus Kurth. Schröders und Münteferings Taktik markiere „einen Tiefpunkt der demokratischen Kultur“, so der Sozialpolitiker deprimiert. „Ich bin mir nicht sicher, ob die beiden Männer, die Neuwahlen wollen, noch von dieser Idee überzeugt sind.“

Wenig überzeugt von Schröders Neuwahlidee sind auch viele Sozialdemokraten. „Es gibt viele Skeptiker, die diesen Weg nicht mitgehen wollen“, sagt nicht nur Hans-Peter Kemper, Vorsitzender der NRW-Landesgruppe innerhalb der SPD im Bundestag. „Ich werde mich am Freitag auf keinen Fall der Stimme enthalten.“ Selbst innerhalb der Fraktion sei es zu keiner Diskussion gekommen“, ärgert sich Kemper: „Sie wurde nach zwei Wortmeldungen abgebrochen. Ich halte diese Entscheidung für falsch.“

„Unruhig“ sei die Fraktionssitzung verlaufen, bestätigt auch der Hagener SPD-Abgeordnete René Röspel – und besteht auf seiner Unterstützung für Schröder. „Sieben Jahre hatten wir die Mehrheit, sieben Jahre habe ich Schröder oft mit der Faust in der Tasche unterstützt.“ Auf die Frage, warum er nach seinem Ja für die Hartz-Reformen, den Afghanistan-Einsatz nun plötzlich gegen den SPD-Kanzler stimmen soll, findet Röspel keine Antwort. Schließlich fänden langjährige Forderungen der Parteilinken wie die Sondersteuer für Superreiche gerade jetzt Eingang in das SPD-Wahlprogramm.

Der Bonner Sozialdemokrat Ulrich Kelber dagegen will Schröder dagegen wirklich unterstützen und dem Kanzler mit seiner Enthaltung einen letzten Dienst erweisen. Schließlich wünsche nicht nur Schröder, sondern „mittlerweile auch ein Großteil der Bevölkerung“ Neuwahlen: „Die Opposition blockiert über den Vermittlungsausschuss doch noch stärker als zu den schlimmsten Zeiten Lafontaines.“