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Archiv-Artikel

Der Geist der Hippies ist ein Goa-Raver

Im Sommer zieht es die Großstadtkinder aufs Land, wo sie sich ganz im Sinne Woodstocks auf die Suche nach dem absoluten Dasein begeben – mithilfe ihres Körpers, Drogen und Musik. Wie ihre Vorgänger nähren sie einen unbedingten Glauben an eine bessere, weil naturverbundene Welt ohne Zwang

Eine Raverin über das Genießen: „Das sind die Vibrationen, die man im Bauch spürt.“

von Till Stoppenhagen

Ein subkulturelles Gespenst geht wieder um in Europa. Auferstanden aus den Ruinen der Hippie-Subkultur der Sechziger- und Siebzigerjahre und wenig beachtet von der medialen Öffentlichkeit, ist der alte Geist von Love and Peace wiederauferstanden. Unter dem Label „Goa“ feiert die Flower-Power-Gegenkultur wieder fröhliche Urständ’.

Besonders im Sommer zieht es die Hippies der neuen Generation hinaus ins Grüne, in die Natur, auf tagelange Openair-Partys mit Namen wie „Xperiencia Xtraterrestre“, „Mondgefühle“ und „Acid Wonderland“. Geändert haben sich vor allem der Sound und die Haarmode: Statt erdigem Folk und zähflüssigem Acid Rock wummern schnelle Technobasslinien durch die schwarzlichthelle Nacht der Goa-Partys. Und lange Haare sind bei den Szenegängern eher abgemeldet, es sei denn, sie werden als Dreadlocks getragen.

Was die „Goa-Fraggles“, wie sie sich nennen, von ihren langhaarigen Ahnen übernommen haben, ist das Interesse an mystischen Erfahrungen (unter Berücksichtigung indischer Philosophie und Religion), in vielen Fällen auch die Idealisierung eines naturverbundenen, ursprünglichen Lebensstils als Alternative zur bürgerlichen Mittelstandskultur, aus der sie klassischerweise kommen.

Was sich in dieser Hinwendung zum Natürlichen, Ungekünstelten, Echten abzeichnet, ist der Wunsch nach einer unmittelbaren, intensiven körperlichen Selbsterfahrung, die nichts mit der Selbstwahrnehmung als kulturellem Subjekt zu tun hat: Wenn es schon keine verbindlichen Wertesysteme mehr gibt, keine herrschende Kultur, die vorgibt, wer man ist, was aus einem werden kann und wie man sich wann und wo zu verhalten hat, scheint die Erfahrung des eigenen Körpers die letzte Instanz zu sein, die noch Selbstgewissheit geben kann.

Ein solches Phänomen hat der Bremer Kulturwissenschaftler Jochen Bonz in Erzählungen von kalifornischen Skateboardern entdeckt und in seinem Buch „Der Welt-Automat von Malcolm McLaren“ beschrieben. In den Schwärmereien von den Gefühlen, die das Skateboardfahren gibt, erkennt er das Genießen eines unmittelbaren, absoluten Daseins, einer elementaren Präsenzerfahrung, die den Reiz dieses Sportes ausmacht.

Diese Erfahrung macht der Skater zwar innerhalb einer Subkultur, in der klare Regeln und Verhaltensweisen gelten und die auf Bedeutungen und einer gemeinsamen Sprache beruht. Doch für den einen Moment auf dem Brett ist er ganz mit sich allein. Und selbst wenn er sich dieses einsame Glück mit anderen teilt, teilt er sich nicht darüber mit: Es reicht ihm oder ihr, dass die anderen körperlich anwesend sind und das Gleiche empfinden.

Auch bei den Goa-Fraggles wird der Körper zum Spielball physikalischer Kräfte. Statt der Schwerkraft sind es die enormen Schallwellen der tiefen Bässe: „Die Vibrationen, die man im, im… Bauchbereich spürt, oder so Sachen… das mein’ ich mit dem Genießen“, beschreibt eine Goa-Raverin ihre Erfahrung beim Tanzen. Die Bewegung zur schnellen, monotonen Musik, der Schweiß und die Schmerzen der erschöpften Glieder tun das Übrige dazu, diese intensive Selbstwahrnehmung zu ermöglichen, die sich bis zur Trance, bis zum völligen Sich-Ausklinken aus der „normalen“ Welt steigern kann.

Als hilfreich beim Erreichen dieses Ziels erweist sich vielen der Konsum halluzinogener Drogen – und auch den haben die heutigen Freaks von den Hippies übernommen. Neben den klassischen Drogen jener Ära – Cannabis, LSD und dem Pilzgift Psilocybin – stehen heute auch synthetische Drogen wie Speed und Ecstasy auf dem Speiseplan fürs Partywochenende.

Dabei spielen Drogen allerdings nicht die zentrale Rolle in dieser Subkultur, obwohl das die Ikonografie mit ihren neonfarbenen Pilzen und die Namensgebung mit Künstlernamen wie Mushroom und Halucinogen suggerieren könnte. Drogen sind auf den Partys so problemlos verfügbar und werden von einem Großteil der Besucher so selbstverständlich konsumiert, dass man sie eigentlich schon nicht mehr wahrnimmt, höchstens als beiläufiges Smalltalk-Thema. Sie gelten als Mittel zum Zweck, die Abkürzung auf dem Weg zum transzendenten Kick, den die Musik und der Tanzmarathon versprechen.

Dass sich in dieser Umgebung auch viele der alten Hippies wohl fühlen, erscheint fast zwangsläufig. Und wenn der nach zwei Tagen Dauerrave gespenstisch erblichene Mittzwanziger kaum vom verwitterten Alt-68er zu unterscheiden ist, dann wird schon auf den ersten Blick klar: Der Geist der Hippies – er ist einfach nicht totzukriegen.