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Archiv-Artikel

Härtefall, wie er im Schulbuch steht

Bildungsbehörde will Kosten für Schulbücher voll auf Eltern und Schulen abwälzen und Schulleiter zu Sozialspionen machen. Eine Regelung für gering Verdienende gibt es nur auf dem Papier, aber kein Geld dafür. Das sollen die Schulen selbst besorgen

von Kaija Kutter

Besonders unangenehme Dinge gibt die Bildungsbehörde vorzugsweise knapp vor den Sommerferien bekannt. So auch in diesem Jahr in Sachen Büchergeld: In einem Brief von Schulaufsichtsleiter Norbert Rosenboom gab sie bekannt, sich zwar eine Härtefallregelung für gering verdienende Familien ausgedacht zu haben – aber nicht bereit zu sein, den Schulen dafür auch nur einen Cent zu geben.

Dass sie auf den Kosten sitzen bleiben würden, hatten Schulleiter bereits vor zwei Wochen geahnt. Da gab die Behörde nach öffentlicher Kritik die Existenz einer „Härtefallregelung“ bekannt. Die Kosten, versicherte Behördensprecher Alexander Luckow am 17. Juni der taz, „zahlt die Stadt“. Dass die Schulen sie tragen müssten, sei „Unsinn“ und „den Schulleitern auch mitgeteilt worden“, erklärte Luckow wiederum gestern Mittag – da lag den meisten Rektoren das Rosenboom-Schreiben bereits vor.

Befreit von dem Büchergeld, das je nach Schulstufe 50, 80 oder 100 Euro beträgt, werden beispielsweise Heimkinder oder Familien, die von Arbeitslosengeld II leben. Sozialarbeiter schlugen Anfang Juni Alarm, weil es viele gering verdienende Eltern gibt, die auf – oder unter – Hartz-IV-Niveau leben.

Die Bildungsbehörde erlegt den Schulleitern nun auf, genau zu prüfen, ob „eine wirtschaftliche Notlage besteht“, diese „unverschuldet eingetreten ist“ und die Zahlung des Büchergeldes „zur Existenzgefährdung führen würde“. Die Schulleiter sollen sich dies durch Einkommensnachweise und schriftliche Darstellung der „ökonomisch-sozialen Situation“ darlegen lassen, „gegebenenfalls“ sogar „durch Bekundungen Dritter“. Und sie sollen es nach strengen Vorgaben „listenmäßig“ festhalten, damit die Behörde Daten erhält.

Zudem sollen sie „vorrangig“ prüfen, ob das Büchergeld vom Schulverein oder durch „sonstige Dritte“ aufgebracht werden kann. Geht das nicht, soll die Schule auf Gebühren ganz verzichten und die Bücher aus dem Rest-Etat für Lernmittel bezahlen, mit dem normalerweise Kreide, Reagenzgläser oder Zeichenbedarf besorgt wird und der gegenüber 2004 halbiert wurde.

Elternvertreterin Meike Jensen, selbst Vorsitzende eines Schulvereins, sieht hierin einen „sozialpolitischen Skandal“. Denn die Schulen mit den meisten Härtefällen hätten auch die ärmsten Schulvereine. „Damit bleiben die ärmsten Schulen auf ihren Kosten sitzen“, sagt Jensen. „Der Lernmitteletat einer Schule in Wellingsbüttel wird kaum durch Härtefälle belastet, in Billstedt aber schon“, kritisiert auch SPD-Schulpolitiker Gerhard Lein. „Armut zu bekämpfen ist die Aufgabe der Gesellschaft und nicht der Einzelschule“, gibt Ulrich Mumm vom Schulleiterverband zu bedenken.

Mit dem Rosenboom-Brief konfrontiert machte Behördensprecher Luckow gestern Nachmittag wieder ein Hintertürchen auf. Es solle „im Grundsatz so sein“, dass die Schulen zahlen. Wenn aber weder beim Schulverein noch im Lernmitteletat Geld übrig sei, dann „gucke“ die Behörde, ob sie „helfen“ kann. In dem Brief liest sich das anders: „Ein Kostenausgleich durch die Behörde findet nicht statt“, steht dort schwarz auf weiß.