brief des tages
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Fortexistenz Demokratie

„Am Desaster vorbeigeschrappt“, taz vom 24. 4. 22

Die Wahl in Frankreich setzte fort, was bereits bei der letzten Wahl in den USA charakteristisch für die Motivlage gewesen ist: Bidens Wahlprogramm reduzierte sich im Grunde auf eine zentrale Negationsabsicht, der Verhinderung von Trumps Wiederwahl. Biden figurierte weniger als Repräsentant der Demokraten und ihres Programms denn als ikonisch inszenierter Anti-Trump. Die Mehrheit, die er an Wählerstimmen dann bekam, war – wie bei Macron versus Le Pen – nicht eine für ihn, sondern eine gegen das jeweils kandidierende personifizierte Gespenst des Rechtsextremismus. Auf diese Weise werden die demokratischen Wahlen zunehmend entdifferenziert zugunsten des vereinfachenden Kampfes radikaler Gegensätzlichkeit: Nationalismus oder Internationalismus, Mono- oder Multikulur, Demokratie oder keine. Und damit ist jede Wahl quasi eine Stichwahl, insofern es um einen drohenden Todesstoß der Freiheit geht. Unter diesen Umständen werden die Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Parteien in erster Linie Streiter für die Fortexiszenz der Demokratie.

Wolfram Hasch, Berlin