: Lang lebe Kaiser Kloppo
Der Gewinner des Confed-Cups sitzt zu Hause auf dem Sofa. Durch den ZDF-Experten Jürgen Klopp bekommt die öffentlich-rechtliche Fußballberichterstattung die lang vermisste fachliche Dimension
VON PETER UNFRIED
Die Fortschritte der deutschen Fußballnationalmannschaft mit ihrem neuen Trainer Jürgen Klinsmann sollen ausnahmsweise hier mal nicht das Thema sein. Auch nicht deren bisweilen ins Hysterische driftende Bejubelung. Nur so viel: Es will etwas heißen, wenn in der Analyse des am Mittwoch zu Ende gegangenen Confederations Cup selbst der kritische linke Fußballexperte Daniel Cohn-Bendit sagt: „Ich will nicht leugnen, dass sie ganz nett spielen.“ Live im Stadion angeschaut hat sich der Chef der Grünen im EU-Parlament gestern Abend statt des DFB-Teams doch lieber das Finale zwischen Brasilien und Argentinien. Damit ist sportlich gesehen das Wesentliche gesagt.
Wer einen eindeutigen und eher unerwarteten Confed-Gewinner sucht, der wird ihn zu Hause auf dem Sofa finden. Für Leute, die sich nicht Premiere (und damit Marcel Reif und Ottmar Hitzfeld) leisten können oder wollen, markiert dieser Confed-Cup eine fast historische Zäsur: Ausgerechnet im ZDF findet sich eine neue Fachlichkeit, die es so bisher öffentlich-rechtlich nicht gegeben hat. Ihr Name ist Jürgen Klopp.
Wer es nicht gesehen hat: Klopp, 37, Trainer des Fußballbundesligisten Mainz 05 und in Fachkreisen „Kloppo“ gerufen, sitzt neuerdings zur Rechten Beckenbauers und bekommt zwischen den gelernten Oberflächen-Unterhaltern Kerner und Kaiser sowie einem Schweizer Schiedsrichterlobbyisten einen kleinen Time-Slot, um inhaltlich über Fußball zu reden.
Immer wenn der Franz sich kopfschüttelnd abwendete (ob derart überflüssigen, neumodischen Zeugs), scribbelte Klopp mit blauen und roten Stiften auf ein so genanntes Taktikboard. Damit werden entscheidende Szenen angehalten, und Klopp analysierte und malte Kreise rein, bis der Zuschauer wusste, was der deutsche Innenverteidiger Robert Huth („Hier macht er den Fehler“) bei der Verursachung eines Elfmeters falsch gemacht hatte. Und vor allem auch, dass Huth nicht der alleinige Schuldige war. Klopp geht die Tendenz zum Lynchen eines angeblich Alleinschuldigen in der Fußballberichterstattung seit vielen Jahren auf den Keks. Erstens ist sie wohlfeil, zweitens falsch, da im modernen Fußball im Team mit elf Mann ballorientiert verteidigt wird. Darüber redet er zum Fernsehzuschauer. Grundsätzlich und auch im Detail. Das ist neu in einer Welt voller Allgemeinplätze („Der Brasilianer, ja gut, man kennt ihn“) und Pseudokenner-Schwätzern, bei denen „verdoppeln, verschieben, verdichten“ genauso klingt wie „Kommt noch Pfeffer ran?“.
Allerdings: Das Ganze ist heikel. Erstens: Wie fachlich darf man sein, um das Millionenpublikum mitzunehmen? Zweitens: Wie klugscheißerisch darf man sich geben, um die drei Dutzend übrigen Bundesliga- und Zweitligatrainer nicht gegen sich aufzubringen, die zuschauen?
Klopp sagt, er habe folgende Strategie: „Tendenziell rede ich nicht mit meinen Spielern, sondern mit meiner Mutter.“ Jetzt könnte mancher schon wieder eingeschnappt sein, denn wer will als Mutter Klopp angesprochen werden? Bitte: Es heißt einfach, dass er fachlich und auch für Laien verständlich sein will.
Was die Verärgerung der anderen Trainer angeht, die es traditionell nicht mögen, wenn ein Standesgenosse öffentlich allzu fachlich wird: Vereinzelt mokierte man sich beim Confederations Cup auch schon darüber, dass da einer „unrasiert die Welt kommentiert“. Kein Problem, sagt Klopp. „Falls das so ist, kann ich es nicht ändern.“ Wer sich derart exponiert, gerät unweigerlich in die Kritik. Das fängt bei der öffentlichen Debatte über Dreitagebart und relativ neue Frisur an („Irgendjemand sagte mir, ich hätte jetzt einen besseren Haarschnitt“) und geht bis zu seiner erstaunlichen Begeisterungsfähigkeit, die mancher jetzt schon als Inszenierung von gespielter Naivität interpretiert. Leute!
Es war so: Jürgen Klopp durfte internationalen Fußball sehen. An exponierter Stelle. Er konnte, sagt er, „lernen ohne Ende“. Aber eigentlich war die Analytikerarbeit beim ZDF sein Jahresurlaub. Und im Urlaub rasiert er sich nicht. Und vom ZDF hat ihm auch keiner gesagt, er solle sich rasieren. Es hat ihm auch keiner gesagt, er solle sich nicht rasieren, damit die Sendungen hipper rüberkommen.
Jetzt ist Klopp erst mal wieder nur Trainer. Zur WM kehrt er zurück. Mag sein, dass dann um ihn herum die sicher starke Tendenz zum Hysterischen und die bisher leichte Tendenz im ZDF zur Jungewelle-Pop-Radio-Flockigkeit eine problematische Synthese eingehen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt muss man schon mal den Mut des neuen ZDF-Sportchefs und Poschmann-Nachfolgers Dieter Gruschwitz erwähnen, der Klopp in diesem Frühjahr verpflichtete, als noch nicht einmal die Erstligazugehörigkeit von Mainz 05 und damit auch von dessen Trainer feststand. Das Ergebnis ist eindeutig jenseits von Poschi. Das ist doch schon mal was.