berliner szenen: Fremde Männer auf dem Balkon
Es sitzen vier fremde Männer auf meinem Balkon und diskutieren. Das ist kein Traum und auch nicht der Anfang eines Witzes. Währenddessen versuche ich am Küchentisch, mich auf das Schreiben zu konzentrieren, umgeben von Blumentöpfen, die noch nach nasser Erde riechen.
Die Männer verhalten sich so, als wäre ich aus Luft, als würden sie vor einer Wohnung stehen, die nur von toten Pflanzen bewohnt ist. Ich vermute, dass zu sehen, was zu sehen ist, in ihrem Beruf unprofessionell wäre.
Was sie sagen, verstehe ich nicht genau. Aber ich weiß, dass es um die Renovierung der Fassade geht. Ich mache die Tür auf und frage, ob alles in Ordnung sei. „Ja, ja.“ Wie lange es mit der Baustelle dauern wird, möchte ich dazu wissen. „Drei Monate, mindestens“, sagt der älteste der Männer und unterhält sich weiter mit seinen Kollegen.
Am Tag zuvor klopfte es an mein Fenster und so erfuhr ich, dass ich den Balkon freiräumen müsste. Deswegen sind neben Töpfen auch Liegestuhl und Stühle, Bierkasten, Gießkanne, eine Muschelsammlung und ein pinkfarbenes Plastikpferd meine neuen Wohnküchen-Gäste, bis ich sie in den Keller bringe oder eine andere Lösung finde.
Wenn ich meinen Freund*innen die Situation beschreibe, empfehlen sie mir, Vorhänge zu besorgen; aber sie wissen, dass ich Vorhänge nicht mag (auch nicht, um schlafen zu gehen). Doch ich nehme ihren Rat an und improvisiere etwas mit Stoffresten. Jetzt sieht es bei mir aus, als wäre es immer Abend. Ich sehe keine Bauarbeiter mehr, doch Schatten, die sich hinter den Vorhängen bewegen. Und ich höre sie an die Wände klopfen, miteinander reden. Ich fühle mich fast schlecht, wenn ich Kaffee mache und ihnen keinen anbiete, und lasse das Radio weiter Musik spielen, wenn ich das Haus verlasse. Ich denke, dass sie sich vielleicht darüber freuen.Luciana Ferrando
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